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„Jetzt ist er aber doch wieder gesund.“

„Jetzt ist er aber doch wieder gesund”. – Nein, leider nicht. Evan ist nicht gesund. Er lebt nur mit einem halben Herzen. Operiert heißt nicht geheilt. Das wird mir an manchen Tagen immer wieder etwas mehr bewusst. An Tagen wie vorgestern. An Tagen, an denen unsere regelmäßigen Termine beim Kinderkardiologen anstehen. Der Herzfehler rückt durch Evans geistige Behinderung oft in den Hintergrund. Manchmal vergesse ich ihn sogar kurz im Alltag. Aber es gibt auch die anderen Tagen. Tagen, an denen der Herzfehler mich regelrecht einnimmt. Manchmal reichen schon ein kleiner Husten oder ein leichter Schnupfen aus. Dann sind sie wieder da. Die Angst und die Sorgen. Von jetzt auf gleich wird mir wieder bewusst, dass Evan nur mit einem halben Herzen lebt. Auf einmal fallen mir seine blauen Lippen und seine blauen Fingernägel auf. Er sieht blass aus. Ist er vielleicht krank? Geht es ihm gut? Was macht sein Herz? Das Gedankenkarusell fängt an sich zu drehen und ich setze mich in Bewegung. Schnurstracks geht es in Richtung unseres sehr gut bestügten Medikamentenschrankes. Danach wird …

Wenn Freundschaften zerbrechen.

Ich war ehrlich gesagt sehr überrascht, positiv überrascht, wie viel Resonanz und verschiedene Sichtweisen ich zu dem Thema „Soziales Leben mit einem behinderten Kind“ erhalten haben. Ein intaktes soziales Leben mit einem behinderten Kind zu führen, ist oft harte Arbeit. Manchmal sogar unmöglich. Es scheint nicht nur mir so zu gehen, sondern vielen anderen Familien ebenfalls. Diese Tatsache hat mich sehr berührt und zum Weiterdenken angeregt. Ein Thema war dabei sehr dominant:  Der Abschied von Freunden und in manchen Fällen sogar von der eigenen Familie. Wie geht man damit um, wenn Freundschaften oder Familienkonstellationen aufgrund einer Behinderung zerbrechen? Freundschaften kommen. Freundschaften gehen. Das ist ein ganz normaler Prozess. Darüber hinaus gibt es Freundschaften, die ein ganzes Leben halten. Aber es gibt auch Freundschaften, die aufgrund einer schweren Belastung wie einer Behinderung zerbrechen. Das habe ich des Öfteren schon am eigenen Leibe erfahren müssen. Ich habe gemerkt, wie Evan und ich gemieden wurden und der Kontakt immer weniger wurde. Es gibt Freundschaften, da ist es ein schleichender Prozess. Irgendwie wird der Kontakt immer weniger und es …

Vielleicht in einem anderen Leben.

Habt ihr Lust mit ins Eiskaffee zu kommen? Ja, sehr gerne. Das wünsche ich mir. Nein, leider können wir nicht. Das sage ich. Vielleicht in einem anderen Leben. Das denke ich. Wenn uns Freunde/Bekannte mit gesunden Kindern fragen, ob wir sie begleiten möchten, ins Kino, zu Veranstaltungen, zum Fasching, zum Campingausflug, ins Kaffee oder einfach mal zu Ikea, dann ist meine Antwort meistens Nein. In meinem Kopf sammeln sich die Gedanken und festigen sich immer wieder zu einer Aussage: Vielleicht in einem anderen Leben. (Ich stelle mir vor, wie die Reaktionen wären, wenn diese Aussage nicht nur in meinem Kopf bleiben würde, sondern laut und ganz überzeugend ausgesprochen wird: Nein, danke der Nachfrage aber heute können wir leider nicht. Vielleicht in einem anderen Leben? Wie bitte? Äh, okay…) Ich muss an dieser Stelle betonen, dass Evan und ich wirklich tolle Freude haben. Die einiges für uns in Kauf nehmen, damit wir dabei sein können. Einsame Waldspaziergänge, die entlegenste Spielplätze, die kuriosesten Schwimmuhrzeiten, geopferte Bratpfannen und Fliegenklatschen, stundenlange Staubsaugergeräusche – das sind noch die harmlosesten Opfer. Ein großes …

Hauptsache geliebt.

Ich mag keine Konsumtage wie Vattertag, Valentinstag oder Muttertag. da ich keinen speziellen Tag für diese Anlässe brauche. Heute ist Welt Down Syndrom Tag und diesen Tag finde ich wichtig und gut. Wichtig, um für Vielfalt und Teilhabe zu werben und dafür, dass Menschen mit Down Syndrom unser Leben und unsere Gesellschaft bereichern. Blond oder dunkel? Junge oder Mädchen? Egal, Hauptsache gesund. Genau, Hauptsache gesund! Feindiagnostik, Fruchtwasseruntersuchungen, Bluttests – die Möglichkeiten ein gesundes Kind zu bekommen steigen. Hauptsache gesund. Eine Floskel. Eine Feststellung. Eine Selbstverständlichkeit. Wir leben in einem Optimierungszeitalter und einer Leistungsgesellschaft. Heutzutage ist das Streben nach dem Glück und nach dem Optimum allgegenwärtig. Wir optimieren unser Aussehen, unsere Beziehungen. Besuchen Seminare, um unser Leben zu optimieren. Es gibt etliche Anleitungen und Ratgeber für ein erfolgreiches, glückliches und unbeschwertes Leben (einige von Ihnen habe ich sogar zu Hause – allerdings noch ungelesen, vielleicht sollte ich das mal ändern). Wusstest Du denn nicht vorher, dass Dein Sohn krank ist? Doch, das wusste ich. Hauptsache gesund? Hauptsache lebendig, war unsere Devise. Für mich gab es nie …

Eine Wilde Bande ist zusammengewachsen.

Zusammenhalt. Zusammenwachsen. Zusammen sind wir stark. Ich bin so berührt wie schnell diese wundervolle Gruppe von Eltern, Kindern und Geschwisterkindern zusammen gewachsen ist. Wie viel Verständnis, Vertrautheit und Zusammenhalt binnen kurzer Zeit entstanden ist. Es ist ein so schönes Gefühl, so angenommen zu werden wie man ist. Das Gefühl zu haben, nicht alleine zu sein. Sich nicht schämen oder verstecken zu müssen. Nicht ausgegrenzt zu werden, sondern dazuzugehören. Jeden Montag freut sich mein kleiner großer Michel so sehr auf diese Gruppe. Nach vielen Jahren kann ich sagen, dass er auf seine ganz eigene Weise Freundschaften geschlossen hat und dazugehört. Auf das Leben. Auf das Miteinander.

Heile Welt.

Urlaub. Erholung. Ruhe. Auspannen. Familienzeit. Die Seele baumeln lassen. Urlaub vom Alltag. Urlaub. Unsicherheit. Angst. Streit. Stress. Unruhe. Verzweiflung. Trauer. Tränen. Urlaub vom Urlaub. Ein Wort. Zwei Welten. Letzteres trifft auf uns zu. Ersteres meine ich des Öfteren in meinem weiteren Umfeld zu verhören. Urlaub – eigentlich ein so schönes Wort. Verbunden mit so vielen positiven Ereignissen und Empfindungen. Eigentlich. Ja, eigentlich. Denn bei uns ist es oft, meistens, anders. Normalerweise brauche ich Urlaub vom Urlaub. Mit einem behinderten Kind in den Urlaub zu fahren ist oftmals, fast immer, harte Arbeit, die meistens mit der neuen Umgebung und den neuen Gewohnheiten zu tun haben. Hinzu kommt, dass der normale Alltag pausiert und auf einmal ein neuer Tagesrhythmus herrscht. Warum dann überhaupt in den Urlaub fahren? Das ist eine gute Frage. Trotz aller Anstrengungen, habe ich immer wieder das Bedürfnis nach Urlaub. Nach Erholung, nach positiven Ereignissen und Erfahrungen. Das Bedürfnis nach Normalität. Natürlich können wir auch zu Hause bleiben, aber mein Bedürfnis nach einem Stück heile Welt überwiegt. Ich bin mir bewusst, dass Urlaub nichts …

Hinhören.

“Ich kann nicht (gut) sprechen aber ich habe eine Stimme. Ich kann nicht “direkt“ antworten aber ich möchte gefragt werden. Ich kann Euch nicht immer angemessen begrüßen oder verabschieden aber ich möchte begrüßt und verabschiedet werden. Oft sitze ich abseits und erwecke den Eindruck, mich nicht zu interessieren aber ich bin auf meine Weise immer dabei. Ich möchte wahrgenommen und integriert und nicht übergangen werden.“ Heutzutage leben wir mehr und mehr in einer Welt, in der der Wert eines Menschen und sein Stellenwert in der Gesellschaft meistens nach seiner wirtschaftlichen Leistung bewertet wird. Sich in solch einer Gesellschaft zu behaupten ist schwierig für jemanden der „anscheint“ nichts zu sagen hat. Dabei hat Evan auch ohne Stimme so viel mitzuteilen. Man muss sich nur etwas mehr Zeit nehmen, einmal innehalten und wirklich hinhören. Evan kommuniziert auf so viele unterschiedliche Arten und Weise. Es sprudelt förmlich aus ihm heraus. Aber mir fällt immer mehr auf, dass dafür oft die Zeit und auch die Geduld fehlt. Oft werden Menschen, die nicht gleich als erstes laut aufschreien und sich …

Immer gleich ein Schattenkind?

Zwei kleine Jungs sitzen zusammen im Bett. Vertieft im Spiel. Jeder für sich aber doch gemeinsam.  Meine zwei wundervollen Jungs. Brüder. Ein behindertes Kind und ein Schattenkind. Ein Bild. Mehrere Ansichten. Mehrere Wahrnehmungen. Warum sehen wir Menschen oft so unterschiedliche Begebenheiten? Warum empfinden wir so unterschiedlich? Warum sind Geschwister eines behinderten Kindes immer gleich automatisch Schattenkinder? Viele schwierige Fragen, die man nicht einfach mal eben so, mal eben zwischendurch, beantworten kann. Alles hat zwei Seiten. Viele Tatsachen, haben etliche Studien mit sich gezogen. Mir ist es wichtig zu betonen, dass ich nicht den Anspruch habe, all diese Studien zu wiederlegen noch möchte ich, nur mal eben schnell, schöne Phrasen zitieren, um zu beweisen, dass alles ganz anders ist. Ganz nach dem Motto: Ende gut, alles gut. Nein, das möchte ich nicht. Ich möchte auch nicht pauschalisieren. Natürlich bin ich mir bewusst, dass nicht alle Menschen so denken, wie ich es oben beschrieben habe. Ich kann nur für mich sprechen. Ich kann nur auf meine Empfindungen und Erfahrungen zurückgreifen. Da ich diese Aussagen aber sehr oft …

Leben und leben lassen.

“Das Kind muss mindestens bis zur Vollendung des 1. Geburtstages gestillt werden. Besser ist natürlich bis zum Erreichen des 3. Geburtstages. In die Kita sollte das Kind gar nicht gehen. Auf jeden Fall nicht vor 2 Jahren. Am besten geht es erst mit 3 in den Kindergarten und dann auch nur bis 12 Uhr, denn das Essen zu Hause ist am besten. Wenn es nicht mindestens 12 Stunden am Tag mit der Mutter verbringt, wird das Kind mit aller höchster Wahrscheinlichkeit starke Verhaltensauffälligkeiten wie beißen oder zu hohes Singen in Form von sehr lauten Geräuschen aufweisen. Arbeiten? Das ist ja sowieso die Aufgabe des Mannes. Der versorgt die Familie. Wenn die Frau unbedingt will, kann sie 3 Stunden am Vormittag arbeiten. Solange das Kind im Kindergarten ist. Es gibt ja genug verständnisvolle und flexible Arbeitgeber. Als selbstverständlich gesehen, ist das tägliche Lüften – mindestens 1,5 Stunden – der Kinder in Form von Spaziergängen oder Spielplatzaufenthalten. Das mütterliche Handy ist bei dieser Aktivität natürlich streng verboten. Ablenkungen jeglicher Art müssen vermieden werden. Zudem sind die Handystrahlen …

Stuhlkreis.

Manchmal bleiben Sitzplätze in unserem Leben leer. Egal wie sehr wir sie besetzen möchten, sie bleiben leer. Vielleicht aus einem guten Grund, vielleicht aber auch einfach nur so. Diese Sitzplätze sind oft Stellvertreter in unserem Leben, zumindest in meinem Leben. In meinem Fall sind es die Erwartungen. Überall lauern sie. Mal ganz offensichtlich, mal versteckt. Gerade zu der Weihnachtszeit kann ich diese gut spüren. Ehrlich gesagt springen sie mich regelrecht an und kleben an mir. Egal wie sehr ich mich schüttel, sie kleben und kleben. So marschiere ich dann in die Weihnachtszeit – voll mit Erwartungen. Das kann ja nur schiefgehen. Und was soll ich sagen? So ist es auch. Ich habe so viele Erwartungen an mich und an das Fest, dass ich im Vorfeld schon sicher bin, dass diese nicht im Geringsten erfüllt werden können. In die Kirche gehen (das mache ich nicht nur an Weihnachten gerne), in Ruhe und mit einer Gelassenheit das Fest genießen, Freunde und Familien besuchen. All das sind Dinge, die ich nicht nur an Weihnachten aber ganz besonders am …