2 Augen schauen mich an. Sie fixieren mich regelrecht. Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl Evan schaut mir ganz tief in die Seele. Sein Blick fesselt mich und lässt mich nicht mehr los. Dann gibt es wieder diese Tage, an denen schaut er durch mich hindurch und scheint ganz weit weg zu sein. In seiner eigenen Welt. Ich frage mich dann, wie seine Welt wohl aussehen mag. Eine Welt, in der alle Gitarren ihm gehören und es nur Laugengebäck und Nudeln gibt. Eine Welt, in der die Reihenfolge der Autos eine größere Rolle spielt als die Autos. Eine Welt voller Kikaninches und Gummibären. Eine Welt, in der Musik eine so große Rolle spielt. Evans Welt.
„Machen Sie einmal Ihre Augen zu und stellen Sie sich vor Sie sind in einem fremden Land. Sie sprechen weder die Sprache noch können Sie die Gesten und Mimiken der anderen Leute verstehen und deuten. Sie hören die Menschen sprechen, Sie hören Autos, Kindergeschrei, irgendwo bellt ein Hund. Stellen Sie sich vor, dass alles prasselt auf Sie ein ohne, dass sie es direkt zuordnen oder filtern können. So ähnlich geht es Ihrem Sohn“, dass sagte Evans Kinderpsychologin vor langer Zeit zu mir als sie versuchte mir Evans Welt näher zu bringen.
Als ich es mir am Anfang vorgestellt habe war die Vorstellung schrecklich für mich. Er ist total isoliert, habe ich nur gedacht. Gefangen in seiner eigenen Welt. Keine Möglichkeit sich auszudrücken oder sich mitzuteilen. Evan sitzt oft in unserer Abstellkammer. Dort ist kein Fenster und wenn er das Licht ausmacht, ist es absolut dunkel. Früher habe ich oft versucht ihn dort heraus zu holen. Der Junge kann doch nicht in der dunklen Abstellkammer neben dem Staubsauger und dem Besen sitzen. Doch er kann und er macht das gerne. Evan beruhigt die Dunkelheit, da er keine Einflüsse filtern muss. Früher habe ich gedacht, Evan kann doch nicht stundenlang vor der Waschmaschine sitzen. Doch er kann und er macht das gerne. Früher habe ich gedacht, der arme Junge kann doch nicht stundenlang nur mit einer Klobürste Gitarre spielen. Doch er kann und er macht das sogar sehr gerne. Der arme Junge kann seinen Geburtstag und Weihnachten nicht feiern. Er versteht nicht warum so viele Leute da sind und ihm etwas geben wollen. Ehrlich gesagt findet er das sogar doof. Auf seinem letzen Geburtstag hat er seine Gäste geschubst und die Geschenke gar nicht beachtet. Die habe ich dann ausgepackt. Evan braucht keine Geburtstage oder Weihnachten.
Eltern und speziell Mütter, ich gehe mit gutem Beispiel voran, haben oft die Vorstellung was für unsere Kinder gut ist und was ihnen Freude bereitet. Diese Vorstellungen projiziert man auf die Kinder. Ich finde die Vorstellung, länger als 2 Minuten, vor meiner Waschmaschine zu sitzen schrecklich. Ich freue mich auf Geburtstage und Weihnachten. Evan nicht. Ich musste lernen mich von meinen Vorstellungen was gut für Evan ist und was ihm Freude bereitet, zu distanzieren. Ich habe gelernt mich von meinen Wünschen und Vorstellungen zu trennen. Evan weiß genau was gut für ihn ist und genau das macht er dann auch. Evan ist sehr ehrlich. Er zeigt einem genau was er gut und was er nicht gut findet. Das gilt für Dinge, Tätigkeiten und Personen.
Manchmal schaut Evan aus dem Fenster und lacht. Ohne Grund. Er lacht einfach und hört nicht wieder auf. Er fängt auf einmal an zu tanzen und lacht oder er beobachtet wie die Blätter sich im Wind bewegen und er lacht. Wenn Evan vor der Waschmaschine sitzt lacht er oft oder wenn er auf der Klobürste seine neuesten Lieder einspielt lacht er. Evan lacht sehr viel. Er lacht, weil er glücklich ist. Evan ist sogar sehr glücklich. Ohne Weihnachten, Geburtstage oder Flugzeuge am Flughafen anschauen -das macht man doch mit Jungs?
Manchmal nimmt mich Evan mit in seine Welt. Das sind oft kurze aber intensive Momente. Wir spielen dann zusammen Klavier oder Gitarre. Wir musizieren generell sehr viel. Manchmal gehen wir auch einfach nur zusammen in den Wald und schauen uns zusammen die Blätter an wie sie sich im Wind bewegen. Oder wir rutschen, immer und immer wieder in der gleichen Reihenfolge gefolgt vom Gummibärchen oder Kikaninchen.
Auch wenn Evan nicht Mama oder ich hab Dich lieb sagen kann, weiß ich genau, dass er mich liebt. Wir sind mittlerweile ein eingespieltes Team geworden. Ich weiß – meistens zumindest- wenn er irgendein Laut von sich gibt was er dann möchte. Viele Leute fragen mich dann, das hast Du jetzt verstanden? Ja, das habe ich.
So skurril und seltsam Evans Welt auch manchen erscheinen mag, es ist seine WELT und genau in dieser Welt ist er glücklich. Warum also sollte ich ihn dort herausholen?
Ich liebe Evan unendlich, ich kämpfe für das, was er braucht und ich trete für ihn ein. Wenn nicht ich, wer sonst?
Glücklich ist nicht, wer anderen so vorkommt, sondern wer sich selbst dafür hält.