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Happy Birthday, kleiner Michel.

Mein lieber Evan,

vor 5 Jahren wusste ich nicht, dass man auf einer Klobürste „Old Mc Donald had a Farm“ spielen kann, begleitet von einer Bratpfanne, einer Haarbürste und einer Fliegenklatsche und es einfach wundervoll einzigartig klingt. Ich wusste nicht, dass ein kleiner Mensch, der nicht sprechen kann, so viel zu sagen hat und liebevoll kommunizieren kann. Mir war nicht bewußt, dass Musik auch ohne Noten so wunderschön klingen kann. Ich wusste nicht, wie viele wunderbare Abenteuer man mit einem blauen Kikaninchen und einem grünen Gummibär, inklusive Mauererdekoltee, erleben kann. Ich wusste nicht, dass Stoffhunde schwimmen können und Puppen zum Leben erweckt werden. Ich wusste nicht, dass sich ein Bett in einen Zauberwald verwandeln kann, in und auf dem man Wagnisse erleben kann. Ich wusste nicht, dass aus alltäglichen Kleinigkeiten einzigartige Abenteuer werden können. Ich konnte mir nicht ausmalen wie viel Spaß es machen kann, zu „I am a Gummy Bear“ stundenlang um den Tisch zu tanzen. Ich konnte mir nicht vorstellen wie lustig es ist, mit Hüten und Sonnenbrillen, im tiefsten Winter, einkaufen zu gehen. Ein halbes Herz, das kannte ich vor 5 Jahren nicht. Und wenn ich es gekannt hätte, hätte ich mir nicht ausmalen können, wie kraftvoll und stark dieses sein kann. Vor 5 Jahren wusste ich nicht, dass ich einmal mit so wenig Schlaf auskommen würde und mich stattdessen Liebe durch den Tag tragen wird. Ich wusste nicht wie einzigartig und wunderschön ein Waldweg sein kann, den man schon etliche Male gegangen ist. Mir war nicht bewusst, dass ein kleiner See, die Größe eines Meeres bekommen kann. Ich hätte mir nicht ausmalen können wie vorbehaltslos, offen und vertrauensvoll ein kleiner Junge auf fremde Menschen zugehen kann. Ich wusste nicht, wie besonders anders ist und wie langweilig normal sein kann. Ich hätte mir nicht vorstellen können wie bedingungslos man lieben kann. Wie schön, dass Du geboren bist!

Zu Deinem Geburtstag wünsche ich Dir, dass Deine kleine unabhängige Seele in Ruhe und voller Vertrauen wachsen kann. Ich wünsche Dir Menschen an Deiner Seite, die es nicht abwarten können, mit Dir in Deine kleine Welt abzutauchen und wenn sie wieder auftauchen Dich in Deiner ganzen Schönheit und Vollkommenheit sehen. Ich wünsche Dir, dass die Menschen Dich so nehmen wie Du bist und sich von Deiner einzigartigen und besonderen Art verzaubern lassen. Ich wünsche Dir, dass Deine Mitmenschen anstatt mir Dir zu reden andere Wege finden, um mit Dir zu kommunizieren und anstatt Dich zu isolieren, Abenteuer für Dich erschaffen. Ich wünsche Dir Menschen, die anstatt Dich zu bemitleiden, Dich respektieren und Dich achten und sich auf das konzentrieren was Du kannst (aus Huygen Hilling). Ich wünsche Dir Menschen, die über den Tellerrand hinweg schauen und Dein Anderssein nicht als frech und ungehorsam sondern als etwas besonderes und Einzigartiges wahrnehmen und sich unendlich freuen und dankbar sind, so einen wundervollen und bezaubernden kleinen Menschen kennengelernt zu haben. Ich wünsche Dir eine Welt voller Liebe und Verständnis, eine Welt, in der Dir jemand ganz selbstverständlich eine Leiter reicht, damit Du wie die Anderen einen Apfel pflücken kannst. Eine Welt, in der es normal ist, verschieden zu sein und in der die Würde jedes einzelnen Menschens gleich viel wert ist. Und ich wünsche Dir Frieden. Zu guter Letzt wünsche ich Dir das Herz eines Löwens und den Mut eines Ritters.

Ich wünsche Dir einen Regenbogen, der Hoffnung gibt und Brücken schlägt und der Dich mit seinen Farben durch jeden grauen Alltag trägt.

Das, mein lieber Evan, wünsche ich Dir zu Deinem 5. Geburtstag von Herzen. Mama.

Wohin der Weg auch führt.

Es gibt Tage, an denen fühlt man sich gut. Richtig gut. Man läuft euphorisch durch die Gegend und belächelt das Leben. Würde man an jenem Tag in einer Umkleidekabine stehen, wäre das Licht in der Kabine mild und vorteilhaft. Geradezu schmeichelnd. Man würde sich im Spiegel betrachten und denken: Wow, sehe ich heute gut aus. Unverschämt gut! Beim Friseur würde man trotz etlicher Strähnen Silberpapier im Haar und dem Fensterplatz inklusive Sonnenlicht und Halogenlampen wunderschön aussehen. Andere Frauen mit Silberpapier im Haar würden kurze, rasche, eifersüchtige Blicke in unsere Richtung werfen und denken: Sieht die aber gut aus. Unverschämt gut! Das sind die guten Tage. Aber was wäre weiß ohne schwarz? Hell ohne dunkel? Genau, eintönig. Daher gibt es noch die anderen Tage. Tage, an denen die Sonne permanent zu hell strahlt. Man trotz bedeckten Himmels noch eine Sonnenbrille tragen möchte. Tage, an denen man sich erschreckt, wenn man sich in der Umkleidekabine oder beim Friseur im Spiegel (eigentlich egal in welchem Spiegel) betrachtet. Das Licht nicht schmeichelnd und einladend wirkt sondern belastend und drückend. Wie Fensterscheiben, bei denen man erst dank der Sonnenstrahlen bemerkt, wie dreckig sie eigentlich sind. Tage, an denen man die Wohnung nicht verlassen möchte und ein Telefonat oder Termin schon zu viel erscheint. Die „To Do Liste“ mahnend auf dem Tisch liegt und nach Aufmerksamkeit schreit. Wie ein hungriges Baby. Termine wie nervige Eintagsfliegen um einen herum fliegen und einen nicht in Ruhe lassen aber die Kraft für die Fliegenklatsche fehlt. Ein Wechselbad der Gefühle. So ähnlich ergeht es mir auf unserem Weg. Evan und meinem ganz persönlichen kleinen Pfad. Manchmal ist er geradezu einladend flach und eben. Gut einsehbar. Ohne Kurven oder gefährlichen Abstiegen. Einfach immer nur geradeaus. An diesen Tagen kann ich es gar nicht abwarten endlich loszugehen. Loszulaufen. Wie ein Tier im Stall, das mit dem Hufen scharrt und es nicht abwarten kann, endlich auf die Weide zu kommen. An diesen Tagen kann ich beim Laufen sogar die Augen schließen und die Sonne auf meinem Gesicht spüren. Immer geradeaus ohne Kurven. Evan trottet neben mir her. Wie ein kleines Fohlen neben seiner Mutter Stute. Ganz relaxt. Mal läuft er ein wenig vor und im nächsten Moment ist er wieder hinter mir. Aber immer in Reichweite. Alles ist einsehbar. Keine Gefahr zu erkennen.

An manchen Tagen werden wir auf unserem Weg begleitet. Weggefährten gehen neben uns her. Ein großer neben mir und ein kleiner neben Evan. Wir unterhalten uns. An manchen Abschnitten, an wunderschönen – einsamen – Plätzen, machen wir eine Pause und trinken einen Latte Macciato oder einen Dosensekt – alkoholfrei versteht sich. Genießen das schöne Wetter und unterhalten uns. Pausenlos. Danach stehen wir wieder auf und gehen weiter. An diesen Tagen bin ich unendlich glücklich. Dankbar. Unendlich dankbar. An diesen Tagen möchte ich mit keinem Menschen auf der Welt tauschen. Keinen anderen Weg gehen. Keinem anderen Pfad folgen. Ich nehme Evan an die Hand und wir laufen los. Nach ein paar Metern ist der unser Weg auf einmal nicht mehr gerade und gut einsehbar. Er ist kurvig, steil, gefährlich und steigt zunehmend an. Evan mag nicht mehr laufen und ich muss ihn tragen. An etlichen Stellen ist es kein gemütliches Laufen oder Spazierengehen mehr, es ist Arbeit. Harte Arbeit. Kosten enorm viel Kraft. So wie ein Bergaufstieg. Allerdings ohne Sicherheitsgeschirr. Die Weggefährten? Einige haben uns mit Beginn des Bergaufsteigens verlassen. Haben Sie schon mal probiert sich beim Bergsteigen (mit ungefähr 20 kg Gepäck) gemütlich zu unterhalten? Das funktioniert nicht. Zumindest nach einigen Metern verlässt einen die anfängliche Euphorie und man schweigt. Wir sind wieder alleine. Alleine? Nee, das sind wir nicht. Wir sind doch schließlich zu zweit! Umso höher der Berg erklommen wird, umso höher steigt das Adrenalin. An einigen Stellen mag Evan weder laufen noch getragen werden – meistens sucht der kleine Michel sich dafür die gefährlichsten Stellen aus. Für einige Touristen mag unser Anblick befremdlich aussehen. Vielleicht sogar komisch. Schaut mal! Die Mutter trägt ihren Sohn mit etlichen Gitarren, Klobürsten, Gummibärchen und Kikaninchen. Selbstgemachtes Leid. Der Junge kann doch schließlich laufen! Der verdient eine ordentliche Portion Prügel. Dann pariert er auch. Schnell überholen! Und weg sind sie. Erst von der Distanz erkenne ich, dass es sich um Freunde handelt. Weggefährten. Ehemalige Weggefährten. Und Tschüss! In Trance habe ich sogar schon Familienmitglieder an uns vorbei huschen sehen. Die sind so schnell vorbei gezogen, dass ich sie im ersten Moment gar nicht erkannt habe. Ach, die haben uns bestimmt nicht gesehen, Evan. Oder doch? So traurig es ist, ich kann einigen von Ihnen keinen Vorwurf machen. Evan und ich laufen langsam. Kehren oft um. Gehen rückwärts. Machen etliche Pausen. Laufen Umwege. Dann wieder ein Stückchen rückwärts. Ein bisschen geradeaus. In unserem Tempo. Vielen ist das zu umständlich. Zu kompliziert. Zu unbequem. Tragen ihre eigene Last und möchten – können – einfach nicht warten. Wollen nicht immer nur Rücksicht nehmen. Nach etlichen Kilometern den Berg hinauf möchten wir eine Pause machen. Ein Rasthof, kleiner Michel. Wie einladend. Schnell muss ich feststellen, dass dieser Rasthof nicht für uns geeignet ist. Evan einfangen und wir marschieren weiter. Suchen uns unseren eigenen Rasthof.

Während wir auf der Suche sind, Evan und sein grünes Gummibärchen haben es sich CE6A8227mittlerweile auf meinen Schultern gemütlich gemacht (summen beide fröhlich und zuversichtlich Old Mc Donald had a Farm), schweifen meine Gedanken ab. Ich denke darüber nach, wie es sein wird, wenn ich Evan nicht mehr auf meinen Schultern tragen kann. Er zu groß ist und ich zu schwach bin. Ich seine kleine wundervolle Welt nicht mehr aufrecht erhalten kann. Mein undurchdringliches Mutterschild langsam zu bröckeln beginnt – oder irgendwann gar nicht mehr da ist. In einer Welt zu bestehen, in der der Wert eines Menschen und sein Stellenwert in der Gesellschaft nach seiner wirtschaftlichen Leistung bewertet wird. Ich frage mich, welchen Platz wird mein kleiner Michel in so einer Welt haben? Evan wird unruhig und mein Gedankenkarussell wird unterbrochen. Danke, mein Schatz. Evan ist es mittlerweile zu langweilig auf meinen Schultern geworden. Er möchte Abenteuer erleben und läuft schon wieder vor. Sein Gummibärchen fest unter den Arm und los geht’s. Er hat den Weg verlassen und erfindet – entdeckt – seinen eigenen Pfad. Und Mama? Die sortiert sich kurz und läuft hinterher. Während ich Evan und seinem Gummibärchen hinterher laufe, sehe ich die anderen Leute auf ihrem Weg.

An manchen Tagen wünsche ich mir, einen anderen Weg nehmen zu können. Evan einfach seine Jacke und seine Schuhe anziehen zu können und den Weg zu nehmen, den viele Menschen ganz selbstverständlich jeden Tag einschlagen. Den direkten Weg zum Ziel. Ohne Umwege und etlichen nicht geplanten Zwischenstopps. Ganz ohne Bedenken an Rasthöfen inne halten zu können. Kurz die Zeit genießen und dann ohne viele Ablenkungen weiter des Weges ziehen. Ganz einfach. Nicht alle Steine, die uns auf dem Weg begegnen in kleine liebevolle Abenteuer umwandeln zu müssen. Den direkten Weg zum Ziel, wie schön einfach wäre das. Alles andere zu behaupten wäre an manchen Tagen gelogen. Wenn man ein schwer chronisch krankes oder schwer behindertes Kind hat, gerät die Welt ins Wanken und man bekommt einen anderen Blickwinkel. Ist der direkte Weg wirklich das Ziel? Oder ist das Ziel nicht der Weg? In der heutigen Zeit hat man immer den direkten Weg vor Augen. Man ist gestresst und verliert oft das Wesentliche aus den Augen. Mir passiert das sehr häufig. Ich hetze von Termin zu Termin ohne mich wirklich umzuschauen. Dann passiert es, dass genau in diesen Moment mein kleiner Michel einen anderen Weg einschlägt. Einen Umweg. Einfach kurz inne hält und sich umschaut. Evan? Hier ist doch nichts! Und ob, da ist so viel was man im Stress des Alltages übersieht. Die kleinen Dinge, die man gerne übersieht und die doch so groß sind. In solchen Momente denke ich immer, dass dieser kleine Junge mir und vielen anderen so viel voraus hat. Auf unseren vielen Umwegen haben wir besondere Menschen und Familien kennengelernt, die auch nicht den direkten Weg gehen (oder gehen können). Die oft rückwärts laufen. Viele – nicht geplante – Stopps einlegen müssen. Diese besonderen Menschen, die ich nicht mehr missen möchte, hätten wir nicht kennengelernt, wenn wir immer den direkten Weg gegangen wären. Diese und viele andere Menschen geben mir die Hoffnung, Evan, dass sie anstatt mir Dir zu reden andere Wege finden, um mit Dir zu kommunizieren und anstatt Dich zu isolieren, Abenteuer für Dich erschaffen, anstatt Dich zu bemitleiden, Dich respektieren und Dich achten und sich auf das konzentrieren was Du kannst (aus Huygen Hilling).

Mein lieber Michel aus Lönneberga, egal wie steinig, steil, nebelig, dreckig, sandig, verschmutzt und holprig unser Weg auch sein wird, ich werde immer diesen Weg gehen. Egal ob ich klettern, auf den Boden rutschen oder kriechen muss. Mal werden wir neben einander gehen, mal wirst Du ein wenig vorrennen oder wirst ein bisschen zurück bleiben. Aber wir werden ihn immer gemeinsam gehen. Unser Weg. Wohin der Weg auch führt. 

Egal welchen Weg Sie gehen oder welches Ziel Sie vor Augen haben, wir wünschen Ihnen eine gute Reise. Auf Ihrem ganz persönlichen Weg. Evan & Marcella 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Evan. Mein tapferer Knirps.

Ein Bild gibt uns das Gefühl, die ganze Welt in den Händen zu halten. Fotos sind Dokumente des Augenblicks, des Lebens, der Geschichte. Die Fotografie verwandelt die Welt in ein ewig fortbestehendes Angebot, aus der Wirklichkeit in das Reich der Fantasie, aus dem Schmerz in die Freude zu fliehen – durch das Fenster der Seele, das Auge. (Mario Cohen)

Bilder besitzen die Kraft ganz besondere Momente festzuhalten. Diese einzufangen und in einer äußerst schonenden und wertvollen Art am Leben zu halten. Einmal habe ich es gewagt mit Evan einen Fotografen aufzusuchen. Ich sage nur so viel: Das Shooting war, bevor es überhaupt angefangen hat, schon wieder vorbei. Der Fotograf und ich waren schweißgebadet. Und Evan? Der war in einem Meer aus Dekoration nicht mehr zu finden. Nach intensiver Suche habe ich ihn dann noch entdeckt. Neben einem Pumpkin und einer Riesenerdbeere. Das Projekt Fotostudio war damit abgeharkt. Eine andere Alternative wäre einen Fotografen über mehrere Stunden zu buchen, was sehr kostspielig ist. Wenn ein paar schöne Momentaufnahmen entstehen sollten, dann belogo_hp1nötigen wir ein paar Stunden. Dieser Tatsache war ich mir bewusst. Wenn ich nur ansatzweise gestresst bin, wittert Evan seine Chance, und fährt zu Höchstleistungen auf.  Durch Zufall bin ich auf die Seite der tapferen Knirpse gestoßen und mein erster Gedanke war: Einen kleinen wundervollen tapferen Knirps hast Du auch zu Hause. Mein kleiner Michel.

Fotografinnen und Fotografen aus ganz Deutschland haben sich zusammen getan. Sie kommen zu Ihnen nach Hause, ins Krankenhaus, zum Lieblingsplatz Ihres Kindes, einfach dahin, wo es für Ihre Familie am besten machbar ist und schenken Ihnen und Ihrer Familie kostenlose wunderschöne Fotos. (Webseite, tapfere Knirpse).

Dem Gedanken folgten schnell Taten und ich verfasste einen kleinen „Was macht mein Michel zu einem tapferen Knirps“ Text. Nach ein paar Tagen, hatte ich schon eine Antwort und nicht viel später wurde eine wundervolle Fotografin für uns gefunden. Maren Schmidt von Bambini Photography. Vor dem persönlichen Kennenlernen haben wir telefoniert, damit sie einen kleinen Einblick in unser Leben bekam und welcher kleine Protagonist auf sie wartet. Ich habe am Telefon einiges ausgelassen, da ich mir gewünscht habe, dass Maren sich selber einen Eindruck von uns und ganz besonders von Evan machen kann. Die Erfahrung mit unserem ersten Fotografen habe ich gekonnt überspielt. Mein erster Eindruck am Telefon hat mich zum Glück nicht getäuscht. Wir hatten so viel Glück bei der Wahl unserer Fotografin. Maren ist ein sehr offener und geduldiger Mensch. Evan hat gar nicht bemerkt, dass sie ganz nebenbei etliche Fotos gemacht hat. Ich war zudem bestens vorbereitet und habe einige Accessoires von Gitarren, Kikaninchen, Gümmibärchen, Ersatz Golden Red River Hündin Momo als riesen Plüschhund, Hüte, Sonnenbrillen etc. dabei gehabt. Melanie hat mit einer solchen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit die Bilder gemacht, dass ich sie in vielen Momenten sogar selbst nicht mehr wahrgenommen habe. Es war ein sehr schöner Vormittag und ich bin unendlich dankbar diese Möglichkeit erhalten zu haben. Die Fotografen sowie der Verein arbeiten unentgeltlich. Diese ehrenamtlichen Arbeit kostet sehr viel Zeit und Mühe. Ich finde es großartig selbstlos, wenn Menschen ihre kostbare Zeit und Herzblut in diese oder ähnliche Projekte investieren, um andere – fremde – Menschen glücklich zu machen. In diesem Falle Evan und mich.

Keine Schuld ist dringender, als die, Dank zu sagen. Philosoph Cicero

Liebe Maren, lieber tapfere Knirpse Verein , Evan, meine Eltern  und ich sagen vom Herzen: Danke.

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Singlebörsen oder was definierst Du als Beziehung?

Was macht dieses Thema auf unserem Blog? Gute Frage. Eigentlich passt das Thema nicht so ganz zu unserem Konzept aber es beschäftigt mich. Also gehört es zu mir und damit gleichzeitig auch zu unserem Blog. Zudem Konzept. Welches Konzept? Evan und ich haben gar kein Konzept. Wir leben. Jeden Tag ein bisschen anders. Und doch normal. Viel Spaß beim Lesen! 

Single. Heutzutage? Gar kein Problem! Wir finden einen passenden Partner. Nach nur 3 Klicks oder wie man auf Tinder sagt: nach dem Wischprinzip. Rechts hot, links Flopp – oder war es andersrum? Tinder, Lovoo, Fischkopf, Elitepartner, Parship, e-darling. Der Partnersuche sind heutzutage keine Grenzen gesetzt. Fast so ähnlich wie bei einem Autokauf. Lieber den Sportwagen oder doch das Familienauto? Nee, lieber einen Smart. Das perfekte Stadtauto. Perfekt muss es sein. Aber mit dem Stadtauto kann man nicht ins Gelände fahren. Also doch lieber ein sportlicher Geländewagen. Sportlich ist wichtig. Dabei moderates, eloquentes Auftreten. Gebildet und belesen muss er/sie sein. Aber nicht zu spießig. Abenteuerlustig. Selbständig. Gutes Einkommen. Charmant. Gut aussehend aber nicht zu geleckt. Wild. Gepflegt. Anspruchsvoll? Nein, überhaupt nicht. Das erwartet der heutige Single. Das ist ganz legitim. Das versprechen doch schließlich die Partnerbörsen. Alle 11 Minuten verliebt sich ein Mitglied auf Parship! Um sich nach dem ersten Date wieder zu entlieben. Das müsste eigentlich noch hinzugefügt werden. Wie?! Nicht abenteuerlustig, wild, charmant, gutaussehend, sexy und dabei nicht billig? Das habe ich mir aber anders vorgestellt! Auf ein Neues. Lovoo und Tinder, die Flirt Apps fürs Handy. Immer mit dabei. Immer erreichbar für ein neues Date. Meine Hobbys? Sportstudio, kochen und aktives Tinder und Lovoo Dating. Und Deine? Okay, entliebt nach nur 10 Minuten.

Nein. Natürlich spreche ich nicht aus eigener Erfahrung. Ich habe nur eine Menge Single Freundinnen mit Flirt Apps Erfahrungen. Das stimmt nicht ganz. Leider bin ich meinem Traumpartner bis jetzt weder beim Bäcker über den Weg gelaufen noch sind unsere Einkaufswagen im Supermarkt zusammen gestoßen. Wie auch? Ich flitze – fliege – mit Evan ja regelrecht durch den Supermarkt, damit wir unseren Einkauf bloß schnell erledigt haben. Dabei stoße ich an etliche Einkaufswagen. Bevor es allerdings zu einem Gespräch kommen kann, sind wir schon wieder verschwunden. Hinter dem nächsten Regal. Immer Richtung Kasse. Warum also nicht eine Singlebörse aufsuchen? Den Traumprinzen finden. Mein erster und letzter Tinder Versuch hielt allerdings nur knapp 3 Tage. Angemeldet habe ich mich Freitagabend und abgemeldet am Sonntag. In der Nacht von Freitag auf Samstag hätte ich alleine schon 3 nächtliche Treffen haben können – zu dritt versteht sich. Ich bin wirklich nicht spießig – das wage ich jetzt einfach mal zu behaupten – aber das ist mir dann doch zu flach. Mittlerweile besteht die Frage auch nur noch aus einem Wort: F*****? Liebe Männer, um eine vollständige Frage bilden zu können, braucht man mindestens drei Satzglieder: Subjekt, Prädikat und Objekt. Übersetzt hieße das: Möchtest Du mit mir f*****?

Wenn es dann (überraschender Weise) doch zu einem Date kommt, wird irgendwann im Laufe des Abends die eine Frage gestellt: Was erhoffst Du Dir von der Partnerbörse? Frau hofft insgeheim die große Liebe, viele Kinder. Eine ernsthafte Beziehung. Mann spricht es öffentlich aus: Definitiv nichts festes! Ah, okay… Was verdammt machst Du dann auf einer Partnerbörse?! Frau steht auf. Verlässt das Restaurant. Der Mann trinkt in Ruhe sein Bier aus. Bling. Eine neue Tinder Nachricht. Ein Match. Ein Date. Wie praktisch. Mann: Hast Du heute Abend Zeit? Bin zufällig gerade in der Stadt und könnte uns einen Tisch bestellen. Wenn ein Mann sich heutzutage noch die Mühe machen würde, einen Tisch zu reservieren, wäre ich sofort verliebt. Sofort.

Eine andere sehr ausschlaggebende und interessante Frage (bzw. die Antwort auf diese Frage): Wann war Deine letzte Beziehung? Stellt man einem Mann diese Frage, kommt meistens nichts Gutes in Form von: Was definierst Du unter Beziehung? dabei heraus. Peng. Mitten ins Gesicht. Alle Träume und zukünftige Kinder sind zerplatzt. Auf einmal. Mit einem Satz. Also, lass mich mal erklären: WENN DU MINDESTENS 3 MAL ÜBER NACHT BESUCH HATTEST – VON DER GLEICHEN DAME – UND SIE BIS ZUM FRÜHSTÜCK GEBLIEBEN IST. DANN BIST DU IN EINER BEZIEHUNG. (Sieben Tage auf Tinder – sehr interessante Dokumentation). Und Tschüss!

Hast Du Kinder? Nach ein paar Minuten oder Stunden am Telefon (insgeheim hat man schon die vielen Gemeinsamkeiten abgespeichert und eine gemeinsame Zukunft erscheint im einer Sprechblase direkt über (m)einem Kopf) kommt die Frage: Hast Du eigentlich Kinder? Ja, habe ich. (Bla Bla Bla) Nee, leider kann er nicht sprechen. Er hat eine Behinderung. Düt, Düt, Düt. Stille. Die andere Leitung ist tot. Das Handy ist bestimmt kaputt. Nach ein paar Minuten und einigen Rückrufversuchen. Oh, nein! Er wurde verschleppt und dabei ging sein Handy kaputt. Jetzt macht er sich bestimmt große Vorwürfe und Sorgen, da er mich nicht mehr zurückrufen kann. Der Arme. Er war der Richtige. Das habe ich sofort gemerkt. Schade nur, dass das Schicksal etwas anderes mit ihm/uns vor hat. Ich werde ihn in guter Erinnerung behalten. Die Tatsache, dass weder in den Nachrichten noch in der Zeitung über irgendwelche passenden Verschleppungsneuigkeiten oder ähnlichen Tatbeständen berichtet wird, wird gekonnt ignoriert.

Es geht allerdings auch anders. Ein paar nette Telefonate. Super schöne, romantische, gemütliche, einfach passende gemeinsame  Abende. Interessante und angeregte Gespräche. Kurze – rasche – Blicke in die gemeinsame Zukunft. Hoffnungsvolle Vorfreude auf das nächste Treffen. Was?! Auf Whats App Blockiert?! Was wird aus unserer gemeinsamen Zukunft. Mist. (Vielleicht ist sein Handy kaputt und blockiert automatisch alle seine Bekanntschaften und Freunde auf Whats App…? Ja, das wird es sein.) Ein sehr großer Nachteil dieser immensen Auswahl an zukünftigen Partnern – für Männer benutze ich an dieser Stelle gerne das Wort Affären – ist, dass eine schöne Bekanntschaft, ein nettes Treffen, in der Masse von Menschen und Verabredungen, untergeht. Ganz still und leise. War da was? War da wer?  

Liebe Männer, bitte entschuldigt die vielen Schubladen. Auch wenn es den Eindruck erweckt, ich habe nichts gegen das männliche Geschlecht. Ganz im Gegenteil, ich finde Euch großartig. Einzigartig. Ein Leben ohne Euch? Definitiv zu langweilig. Dieser Text ist mit der gewissen Menge Ironie (in der Ironie steckt bekanntlich auch immer etwas Wahrheit) zu verstehen. Für Männer. Für Frauen.

Vielleicht sollte man (und Frau) sich ernsthaft überlegen, ob eine Anmeldung bei mobile.de (Deutschlands größter Fahrzeugmarkt) nicht das geeignetere Portal wäre. Ich brauche definitiv ein neues Auto. Eine Mischung aus Gelände- und Familienfahrzeug.

Unsere eigene Kolumne.

Evan und ich haben unsere erste eigene Kolumne und freuen uns riesig! Wir unterstützen den wundervollen Philip Julius Verein, der sich für Eltern mit mehrfach schwerstbehinderten Kindern einsetzt.philip-julius-logo-400

„Anders und doch normal“ ist das neue Format auf unserem Blog. Die Kolumne von unsrem neuen Teammitglied Marcella Becker beschäftigt sich mit Themen, die die meisten wenn nicht gar alle Eltern behinderter Kinder kennen. Doch wir wollen nicht allzu weit vorgreifen: heute gibt es zunächst einmal die Gelegenheit, Marcella kennenzulernen und einen ersten Einblick in ihre Welt zu bekommen. Eine wunderbare Welt voller Gitarren, Gummibärchen und Kikaninchen…
Einfach hier klicken, dann gelangt ihr zu unserem ersten Artikel. 

 

Ein Dreieck und kein Kreis.

Ich bin müde. Kaputt. Zerschlagen. Ich komme mir vor, als ob ich versuche ein überdimensionales Dreieck durch einen viel zu kleinen Kreis zu befördern. Oder ich versuche diesen Kreis zurecht zuschneiden. Mit einer stumpfen Schere. Leider funktioniert weder das Eine noch das Andere. Die Schere ist kaputt und das Dreieck ist einfach zu groß. Wie viel Anpassung ist gut und richtig? Diese Frage beschäftigt mich in letzter Zeit sehr. Oft fühle ich mich zerrissen. Ich versuche Evan und der Gesellschaft gerecht zu werden. Evan lebt in seiner eigenen kleinen ganz wunderbaren Welt. Eine Welt, in der alle Gitarren oder Gegenstände, die einer Gitarre ähneln, ihm gehören – egal ob sie im Supermarkt getarnt als Bratpfannen oder Haarbürsten hängen oder sich ganz ohne Tarnung in einem Schaufenster befinden. Eine Welt voller Kikaninchen und Gummibären. Eine Welt, in der es nur Laugengebäck und Nudeln gibt. Eine Welt, in der Musik eine so große Rolle spielt. Evans Welt. Es kostet Kraft Evans Welt aufrecht zu erhalten. Viel Kraft. Physisch und psychisch. Eine Welt, die oft nicht in der Realität bestand hält. Nicht halten kann. In einer nicht Autisten gerechten Welt/Gesellschaft zu leben, ist eine ständige Herausforderung. Für mich und für Evan. Ich versuche diese beiden Welten überein zu bekommen. Meine Welt? Die ist mittendrin. Mal mehr auf der einen Seite und dann wieder auf der anderen Seite. Jeder Autist/in oder Familienangehörige wird es verschieden empfinden. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass jeder Autist in seiner eigenen Welt lebt. Wir leben alle in einer Welt und in einer Gesellschaft. Dieser Artikel beruht lediglich auf meinen Empfindungen und Erfahrungen mit Evan und ich empfinde unser Leben oft, als wenn wir in 2 Parallelwelten zu Hause sind.

Wenn ich einen Raum betrete, einen neuen Waldweg ausprobiere oder nur im Supermarkt unseren Einkauf erledigen möchte, scanne ich unser Umfeld und Umgebung systematisch ab. Der Mama-Scanner-Blick. Gefahren werden gesichtet und umgangen. Oft sind es Kleinigkeiten, die Evan aus dem Konzept bringen. Seine Welt ins Wanken bringt. Unseren Ausflug nach 5 Minuten abrupt beenden. Umgebungen werden wie Wundertüten. Nie zu wissen was man erhalten wird. Das kann eine geöffnete Autotür oder eine angepasste Veränderung in meinem Verhalten sein. Vielen Menschen fällt diese Veränderung nicht auf. Sie mögen lächerlich, gar absurd, wirken. Evan aber sieht und bemerkt sie sofort und reagiert dementsprechend. Ich habe schon einige Leute gebeten, ob sie kurz ihre Autotür schließen können, damit wir vorbei gehen können. Was soll ich machen? Kommt gar nicht in Frage! Bis hin zu Ja, gerne. Kein Problem haben wir schon zu hören bekommen. Ich kann beide Reaktionen nachempfinden. Ich kann nicht erwarten, dass die Gesellschaft ständig und überall Rücksicht auf uns nimmt. Jeder trägt sein eigenes Päckchen mit sich herum und da kann „nur kurz die Autotür schließen“ oder „den Lichtschalter ein und aus schalten“ an einem Tag schon zu viel sein. Hundebesitzer zu fragen, ob sie uns bis zu unserem Auto begleiten, da ich Evan ansonsten nicht mehr überzeugen kann, den Rückweg anzutreten oder Campingplatzbesuchen zu erklären warum Evan deren Bratpfanne entführt hat, um auf dieser Old Mc Donald hat a Farm spielt, sind noch die harmlosesten Anfrage oder Gegebenheiten.

Ich wollte meinem Kind immer auf Augenhöhe begegnen. Liebevoll erklären als mit Kraft dagegen zu lenken. Ich möchte Evans wundervolles Wesen nicht verändern. Kein Kreis aus dem Dreieck formen. Ein Dreieck soll ein Dreieck bleiben. Aber wie passt das Dreieck in einen Kreis? Dieses Beispiel mag befremdlich wirken aber es spiegelt meine Empfindungen und Eindrücke wieder. Das Leben soll bunt sein. Natürlich ist es schön, wenn die Welt nicht nur aus Kreisen besteht sondern aus Dreiecken, Quadraten oder Vierecken. Eine bunte Vielfalt. Aber wie überlebt man in einer Welt, die hauptsächlich für Kreise konzipiert ist? Ich habe mich vor einigen Jahren bewusst gegen eine ABA Therapie, entschieden und diese Entscheidung auch bis heute nie bereut. ABA macht aus Dreiecken Kreise. Aber zu welchem Preis? Für mich ist ABA die reine Dressur eines Kindes, die gegen seine Würde verstößt.

Ich wünsche mir, dass Evans wundervolle Seele in Ruhe und voller Vertrauen und Zuversicht wachsen kann. Ich möchte nicht, dass Evan mit dem Gefühl erwachsen wird, alles falsch zu machen oder nicht richtig zu sein. Ihn ständig einzuschränken oder zu belehren. Ihn zu formen, damit er besser in die Gesellschaft passt. Evan und ich gegen den Rest der Welt. Gegen die Gesellschaft. Leider funktioniert das so nicht. Nicht ganz ohne die Gesellschaft. Wir möchten Teil dieser Gesellschaft sein. Zusammen an Aktivitäten teilnehmen. Vergnügungsparks, Museen oder Zoos besuchen. Aber dafür muss Evan sich an gewisse Strukturen und Umstände halten. Evan ist kein Autist, der am Liebsten in seinem Zimmer sitzt und an die Decke starrt – dieses Bild bekomme ich noch sehr häufig zu hören. Nein, Evan ist ein kleiner Michel aus Lönneberga, der Abenteuer erleben will. Der die Welt mit all seinen wunderbaren Farben entdecken möchte. Mit allen Sinnen in sie eintauchen möchte. Mama, was erleben wir heute?  vermag ich in Evans großen Augen zu lesen. Dieser kleine wundervolle Junge, möchte die Welt kennen lernen und es ist meine Aufgabe ihm diese Welt näher zu bringen. Dafür setzte ich mich ein. Jeden Tag aufs Neue. Viele Menschen aus meinem Bekanntenkreis fragen mich immer wieder, warum ich nicht einfach zu Hause bleibe und mir diesen Kampf erspare. Gute Frage. Wenn Evan in seinem Kinderzimmer genauso glücklich wäre, wie auf den sieben Weltmeeren, die an dieser Stelle für unsere Aktivitäten stehen, dann würde ich den ganzen Tag mit ihm in der Wohnung bleiben und mir meine Freiräume alleine nehmen. Aber Evan ist ein Abenteurer. Die Welt ist sein zu Hause. On the road – das ist Evans Devise. Während wir unsere alltäglichen Abenteuer erleben, stoßen wir immer wieder an unsere Grenzen. An gesellschaftliche Normen und Strukturen. Oft komme ich dann ins Spiel, die mutige Supermama (MSM), die alle Hürden für Evan nimmt und sie in Windeseile beseitigt. Geöffnete Autotüren werden liebevoll in kleine Abenteuer umgewandelt. Haar- und Klobürsten werden gekonnt umgangen. Stark, unermüdlich und voller Tatendrang – und dabei natürlich immer top gestylt. In der Realität stehen mir die Haare zu Berge, meine Augenringe werden immer dunkler und ich versuche verzweifelnd die Alltagsprobleme zu umgehen. Aus Supermama wird Onkel Fester aus der Addams Family.

Wie viel Anpassung ist richtig? Ich vermag diese Frage nicht zu beantworten. Ich weiß nur, dass Evan, so skurril und seltsam seine Welt auch manchen erscheinen mag, genau in dieser Welt glücklich ist. Warum also sollte ich ihn dort herausholen? Ich liebe Evan unendlich, ich kämpfe für das, was er braucht und ich trete für ihn ein. Jeden Tag aufs Neue.

Mein lieber Evan, ich bin so froh, dass es Dich gibt und Du so bist wie Du bist. Du bist wundervoll einzigartig. Etwas ganz besonders. Unbeschreiblich. Unglaublich fantastisch. Genauso wie Du bist, bist Du richtig. Ein Dreieck und kein Kreis.

 

 

 

 

 

Alleinerziehend? Na und!

Mein Auto. Mein Haus. Meine PlayStation. Männer sitzen sich gegenüber und “bewerfen“ sich lauthals mit ihren Besitztümern. Danach stoßen sie an. Mit Bier und klopfen sich verständnisvoll auf die Schultern. Frauen sitzen sich gegenüber und versuchen sich mit ihren Kindern und Männern zu übertrumpfen. Männern? Ja, ihren Ehemännern. Mein Mann bügelt seine Hemden selber. Mein Mann pinkelt im Sitzen. Dabei stoßen sie an. Mit Sekt. Wenn sie stillen, mit alkoholfreien Sekt. Dabei lächeln sie sich ins Gesicht und denken: Du blöde Kuh. Wenn ich fremden Menschen gegenübersitze läuft es meistens so ab: Ihr Sohn ist aber schüchtern. Der antwortet ja gar nicht. Stimmt, er ist krank. Er kann leider nicht sprechen. Oh, was hat er denn? Die Grippe? Nein, er ist behindert und kann nicht sprechen. Oh, wie schlimm! Das tut mir aber leid. Dann hilft ihr Mann ihnen bestimmt viel? Nein, leider nicht. Oh, warum? Ist er viel unterwegs? Nein!!!! Ich habe keinen Mann. Ich bin alleinerziehend. Mit einem behinderten Kind!!!! Und Tschüss! Schon sind wir weg. Weit weg. Natürlich läuft es nicht immer getreu diesem Muster ab, aber in der Vergangenheit haben sich ähnliche Gesprächsverläufe auffallend vermehrt. Und ich habe mich gefragt: Warum? Ich habe immer mehr und mehr das Gefühl bekommen, dass ich als Frau alleine nicht komplett bin. Unsere Familie nicht komplett ist. Der Mann, der macht das schon. Die starke Schulter zum Anlehnen. Oft versucht die Gesellschaft mich über einen Mann zu definieren, der in meinem Falle leider nicht da ist. Was bleibt? Ich. Ohne Mann. Die arme Frau, ohne Mann. Ohne den Fels in der Brandung. Schon wieder stecke ich in einer Rolle, die ich mir nicht ausgesucht habe. Die ich einfach besetzte, ohne je dafür vorgesprochen zu haben. Warum bekomme ich bloß immer die Rollen, die sonst keiner besetzen möchte?! Ab heute bin ich Femme. Femme fatale. Mit Pony. Basta.

Die Bilderbuchfamilie besteht aus Vater, Mutter, Kind. Vielleicht auch zwei Kindern. Ein älterer Junge und ein jüngeres Mädchen. Im richtigen Bilderbuch wären es dann Päpabär, Mamabär und die zwei Kinderbären. Heutzutage gibt es noch viele weitere Variationen wie zum Beispiel Vater & Vater oder Mutter & Mutter. Mamabär und Evanbär. Das ist unser Bilderbuch. Früher habe ich, wenn es um das Thema Familie ging, angefangen rumzudrucksen. Ich mochte das Wort alleinerziehend nicht. Es hat mich traurig gemacht. Alleinerziehend. Alleine. Bin ich alleine? Ich bin alleine. Ich glaube es gibt nur sehr wenige Menschen, die sich von Anfang an bewusst dafür entschließen alleinerziehend sein zu wollen. In meiner damaligen Vorstellung gab es Kinder immer im Zusammenhang mit einer Familie. Mama, Papa und das Kind. Eine Bilderbuchfamilie eben. Die Wochenenden waren für mich am Anfang besonders schwer. Am Samstag konnte ich mich ablenken und beschäftigen. Was kommt nach Samstag? Genau! Der Sonntag. Und der schreit förmlich nach Familientag. In der Bilderbuchfamilie macht man sonntags immer ein schönes Familienpicknick unter blauem Himmel und auf einer rot weiß getupften Decke. Die Familie ist zusammen und man zelebriert das Zusammensein. Unser Sonntag sah dagegen in etwa so aus: Ich versuche Evan auf unserer weiß rot getupften Decke zu halten. Er entwischt und ich renne hinterher. Oh, der See! Und schon ist Evan im Wasser und Mama hinterher. Das Familienpicknick ist offiziell beendet. Nach ungefähr… Okay, das lasse ich an dieser Stelle lieber unbeantwortet.

Schließen sie ihre Augen. Wie sehen sie ihre Familie? Äh, wie meinen Sie das? Ich sehe… gar nichts. Das war meine Reaktion auf die Frage einer wundervollen Familientherapeutin. Horchen sie in sich hinein. Was macht ihre Familie aus? In diesem Moment musste ich das erste Mal inne halten und ich habe fürchterlich angefangen zu weinen. Nicht aus Traurigkeit sondern vor Freude. Ich habe das erste Mal gemerkt, dass wir komplett sind. Das nichts fehlt. Diese tolle Familientherapeuten hat es so selbstverständlich gesagt. Ohne jegliche Zweifel. Familie. Evan und ich sind eine Familie. Auch wenn ein Großteil der Gesellschaft etwas anderes denkt. Ich bin nicht alleine. Ich habe eine Familie. Evan und ich. Inklusive Omabär und Opabär! Genauso sind wir richtig. Sich zu positionieren, das habe ich über die Jahre gelernt. Ich habe überhaupt keinen Grund rumzudrucksen, wenn ich nach meinen Familienstand oder meiner Lebenssituation gefragt werde. Noch muss ich mich vor den Bilderbuchfamilien verstecken. Was ich früher in einigen Sätzen mühevoll versucht habe zu beschreiben, in manchen Fällen bis hin zu einer Rechtfertigung, fällt heute umso kürzer aus: Evan und ich leben alleine. Basta. Kein wenn und kein aber. Umso klarer ich mich positioniere, umso besser scheint es die Gesellschaft zu verstehen und zu akzeptieren. Unsere jetzigen Sonntage sehen übrigens so aus, dass ich mich mit Freundinnen auf dem Spielplatz zu einer Dose alkoholfreien Sekt treffe und wir anstoßen. Auf was? Gute Frage. Auf uns, vielleicht. Auf die Mamabären. Danach lächeln wir uns an (ohne zu denken: Du dumme Kuh- das hoffe ich zumindest). Seitdem ich klar Stellung beziehe, geht es mir besser und ich werde nur noch äußerst selten gezwungen Rollen zu spielen, die mir nicht liegen. Übrigens, auch ohne einen Fels in  der Brandung schwimme ich seit mehreren Jahren sehr zuversichtlich und halte mich -meiner Meinung nach – sehr gut über Wasser.

Was ich damit sagen will? Macht Euch frei von gesellschaftlichen Zwängen und lasst Euch nicht das typische Familienbild aufdrängen. Lasst Euch nicht in Schubladen stecken, in die ihr nicht wollt. Nehmt keine Rollen an, die ihr nicht spielen möchtet. Befreit Euch von sämtlichen Bilderbüchern und schreibt Eure eigenen Familiengeschichten. Mit euren eigenen Protagonisten. Und wissen Sie was? Bilderbuchfamilien gibt es sowieso nicht in der realen Welt. Die gibt es nämlich nur auf Bildern in Büchern und meistens als Bären. Basta!