Autor: m.wessel12@yahoo.de

Eine niedliche Behinderung, bitte.

Man lernt immer dazu. Gerade an Orten, an denen man am wenigsten damit rechnet. So erging es mir zumindest letzte Woche. Im Supermarkt. Beim Einkaufen. Oh, das ist aber eine niedliche Behinderung. Wie bitte? Was? Eine niedliche Behinderung? Niedliche Behinderung. Diese Äußerung habe ich während einer Unterhaltung zweier Damen im Supermarkt aufgeschnappt. Nein, es ging nicht um Evan sondern um ein kleines Mädchen mit eben dieser niedlichen Behinderung. Ein Phänomen. Ich beobachte es schon seit längerem. Es scheint eine Klassengesellschaft der Behinderung zu geben. Die Behinderung oder besser gesagt die Behinderten scheinen in verschiedene Gruppen aufgeteilt zu sein. Die Gruppen, die ich bis jetzt entdeckt habe, sind: Die niedlichen Behinderten, die zutiefst mitleiderregenden Behinderten und die schrecklichen Behinderten zu der auch die Untergruppe „die sehen ja komplett gesund aus und sind nur falsch erzogen“ Behinderten gehören. Zu letzterer Untergruppe scheinen wir hinzugefügt wurden zu sein. Leider wurden wir – wie so oft- vorher nicht gefragt, ob wir dazugehören wollen. Einfach abgestempelt. Zumindest gehören wir endlich mal dazu. Sind einer Gruppe angehörig. Vielleicht sollte ich mich, anstatt …

Evan ist wieder eingezogen…

…. und Mama ist überglücklich. Meistens zumindest. Seine Villa Kunterbunt hat er eigenhändig abgerissen. Sie war ihm auf Dauer doch zu klein. Evan ist jetzt wieder kunterfrei. Mal sehen welches Haus er als nächstes sein Eigenheim nennt… Ich sehe ihn schon in einer überdimensionalen Gitarre oder Bratpfanne sitzen.

Grenzen.

Mutterliebe ist eine Leidenschaft, die ihre eigene Gewalt und Größe hat (Carmen Sylva). Seitdem Evan auf der Welt ist, weiß ich was Mutterliebe bedeutet. Wie stark, rein und ehrlich diese Liebe ist. Ich liebe Evan. Sehr. Aber. Aber? Aber es gibt auch diese anderen Tage. Stunden. Minuten. Sekunden. An/in denen macht Evan es mir schwer. Kratzen, beißen, hauen, treten. Evan ist ein sehr impulsives kleines Kerlchen. Ihm fehlen die Worte und stattdessen benutzt er seine Hände, seinen Mund oder manchmal auch seine Beine. An manchen Tagen, Stunden, Minuten oder Sekunden ist es sehr schwer zu ertragen. Ich habe das Gefühl ich zähme ein wildes Tier. Versuche es zu beschwichtigen. Möchte es nicht dressieren oder konditionieren. Aber manchmal soll/muss er auf mich hören. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch und habe mir immer vorgestellt meinem Kind auf Augenhöhe zu begegnen, um zu erklären. Liebevoll zu erziehen. Stattdessen muss ich an diesen anderen Tagen versuchen mich zu schützen. Uns zu schützen. Kurz den Raum verlassen. Einmal tief durchatmen. Evan ist krank und kann sein Verhalten nicht steuern, …

5% reines Glück.

Abtreibung. Mit diesem Rat habe ich vor fast 6 Jahren die Arztpraxis und das Krankenhaus in Brüssel verlassen. Evan hatte aufgrund seiner Herzdiagnose keine große Überlebenschance. Genau gesagt hatte er gerade einmal 5%. Das war die Zahl, die der Arzt mir genannt hat. 5%. Das ist nicht viel. Da fehlen 95 zu 100% und sogar 45 zu 50%. Hätte mir früher jemand gesagt, sie haben eine 5 prozentige Chance, um das Ziel zu erreichen, hätte ich ihm/ihr direkt ins Gesicht gelacht – vielleicht sogar noch den Mittelfinger gezeigt- und wäre gegangen. Für 5% mache ich mich doch erst gar nicht auf dem Weg. Damals zumindest. An diesem besagten Tag habe ich mich an die 5% geklammert. Bildlich muss es so ausgesehen haben, als wenn ein Erwachsener sich an eine Babyluftmatratze klammert und dabei versucht nicht unterzugehen. Ziemlich lächerlich also. Ich habe sie festgehalten und nicht mehr losgelassen. Ja, fast erdrückt habe ich sie. Die 5% und die Luftmatratze. Abtreibung. Als ich diesen Rat im Krankenhaus erhalten habe, wurde mir geraten weitere Tests durchzuführen, um herauszufinden, ob …

Evan ist ausgezogen…

… und Mama ist traurig. Nein, halb so schlimm! Evan ist zum Glück nicht weit weggezogen. Eigentlich wohnt er immer noch mit seiner Mama zusammen. Er ist nur in seine eigene kleine Villa Kunterbunt innerhalb seines Zimmers gezogen. Wer hätte das gedacht, dass ein kleines Kartonhaus Evan so begeistern würde. Er „lebt“ – samt grünen Gummibärchen und blauen Kikaninchens – seit Tagen in seiner kleinen Villa Kunterbunt und möchte dort am liebsten gar nicht mehr heraus. Wenn ich etwas von ihm möchte, muss ich schon hinein. Ohne klingeln oder anklopfen bleibt die Tür allerdings vehement verschlossen. Was mich wirklich sehr wundert ist die Tatsache, dass dieses leichte Haus immer noch funktionstüchtig ist und fest steht. Bis jetzt hat Evan es noch nicht zerstört. Er geht sogar sehr liebevoll mit seiner kleinen Villa Kunterbunt um. Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt (Pippi Langstrumpf) – Diese Spruch ist wirklich sehr passend, wenn man sich einmal den Schornstein von Evans Villa Kunterbunt betrachtet: Aus dem wachsen nämlich schon Gitarren…  Herzlichst, Marcella & Evan

Wo ist Evan?

Evan ist verschwunden?! Höchst motiviert und gut gelaunt öffne ich heute Morgen Evans Kinderzimmertür, um ihn liebevoll zu wecken. Aber Evan liegt nicht in seinem Bett und im Zimmer kann ich ihn nicht finden. Weder in der Abstellkammer noch im Badezimmer vor seiner Waschmaschine ist er anzutreffen. Nach einer gefühlten Ewigkeit und eines leichten Panikanfalles, höre ich ein leises Lautieren aus unserem Kleiderschrank. Schnell die Kleiderschranktür geöffnet und wer kommt mir in einer Schublade entgegengefahren: Evan und sein neuer kleiner Kumpel Bert ;o) Evan ist wieder da. Mama ist glücklich. Überglücklich. Herzlichst, Evan & Marcella

Eine Gartenparty – Im Januar.

Bei Evan und mir ist vieles anderes als woanders. Warum also keine Gartenparty im Januar?! Genau! Es gibt eigentlich keinen Grund, der dagegen spricht. Okay, vielleicht das Wetter und die Temperaturen aber darauf kann man sich vorbereiten. Mit der entsprechenden Kleidung und heißem Glühwein. Gesagt getan. Dank meiner lieben Freundin Nicole, dem organisierten Marcel, meinem fleißigen Vater und dem Tanzbär Carsten wurde in 1.5 Tagen aus unserem Garten ein kleines Winterwonderland – inklusive Feuerkörben, etlichen Lichterketten sowie Lasershow, Strohballen, Fellen und – dank des Wetters – sogar Echtschnee. Es war ein wunderbar wundervolles Glühweinfest. Wir haben nachträglich das Jahr 2016 mit einem Feuerwerk begrüßt oder vorab das Jahr 2017 willkommen geheißen- je nachdem wie man es sieht. Wir sind wild tanzend um die Strohballen gelaufen und haben eine Polonaise um die Feuerkörbe gemacht. Vielen Dank an alle Gäste und dem wundervollen Orga-Team für die etwas andere Gartenparty. Im Januar. Evan & Marcella

Glücklich trotz Behinderung?

Vorweg: Darf man diese Frage überhaupt stellen? Ich finde ja! Glücklich trotz Behinderung? Diese Frage läuft mir in vielerlei Hinsicht in letzter Zeit über den Weg und beschäftigt mich sehr. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen der Ansicht sind, dass ich sehr unglücklich sein muss, da ich ein behindertes Kind habe. Du wirkst so glücklich. Bist Du wirklich glücklich? Du musst doch ziemlich unglücklich sein, oder? Diese Aussagen und Fragen bekomme ich häufig gestellt. Darüber hinaus wird Evan oft mit einem sehr mitleidigen Blick betrachtet, da dieses arme Kind eine so schlimmer Behinderung hat. Er kann doch gar nicht glücklich sein, der Kleine. Mich haben diese Fragen nicht mehr losgelassen. Stimmt es etwa was die anderen Leute sagen? Sind Evan und ich nicht glücklich? Können wir gar nicht wirklich glücklich sein? Aus diesen Gründen habe ich mich in den letzten Tagen sehr intensiv, ehrlich und offen mit diesen Fragen auseinander gesetzt. Ich habe versucht sie bis zum Grund, bis in die Tiefe, zu erörtern. Mit all ihren schönen und schrecklichen Seiten. Bei der Beantwortung …