„Seien sie nicht traurig. Ihr Sohn wird seine Liebe und Zuneigung nie zeigen können.“
„Autisten können keine Liebe zulassen.„
„Das Leben mit einem so schweren Herzfehler ist nicht lebenswert.“
„Er wird nie sprechen können.“
„Das Leben mit einer geistigen Behinderung ist nicht lebenswert.“
„Ihr Sohn ist kein Autist. Es liegt an ihnen.„
Dies sind nur einige wenige Beispiele an Äußerungen, die ich mir – es gilt an dieser Stelle zu betonen, überwiegend von Fachleuten, im Laufe der Zeit anhören musste. Viele dieser Äußerungen haben mich früher, am Anfang unseres Weges, sehr irritiert und ehrlich gesagt auch sehr verunsichert. Gerade am Anfang, wenn man es nicht besser weiß, vertraut man auf die Meinungen der Ärzte, Psychologen, Therapeuten und Erzieher. Mir ist es an dieser Stelle sehr wichtig zu betonen, dass es großartiges Fachpersonal gibt. Ich hatte am Anfang leider nicht so viel Glück und habe mir viele Äußerungen und Behauptungen anhören müssen, die nicht der Wahrheit entsprachen und mich sehr verletzt haben.
Und dann sehe ich die Bilder. Bilder, die alle Eltern zur Genüge haben. Momentaufnahmen. Schnappschüsse. Für mich haben diese kleinen Momente im Alltag eine sehr große Bedeutung. Ich habe es mir lange nicht vorstellen können, dass Evan so liebevoll in Kontakt treten kann. Eine innige und liebevolle Beziehung zu einem anderen Menschen aufbauen kann und will. Aber er will und noch besser: er kann. Diese Verbundenheit zu beobachten, macht mir sehr glücklich und bestärkt mich, jeden Tag weiter für Evan zu kämpfen und mich einzusetzen, Vorurteile, Klischees und Stereotypen abzubauen.
Am Anfang unseres Weges, hätte ich mir gewünscht einen Einblick in ein Leben mit einem behinderten Kind zu bekommen. Ich habe alles im Internet abgesucht. Ich habe tage- und nächtelang recherchiert. Viel konnte ich damals leider noch nicht finden. Irgendwann im Laufe der Zeit, war es mir dann selber ein großes Anliegen unsere Geschichte zu teilen. Zu informieren. Aufzuklären. Zu berichten. Zu betrauern. Die Freude zu teilen. Mut zu machen und Ängste zu teilen. Dabei möchte ich nichts beschönigen oder idiealisieren. Das Leben mit einem behinderten Kind ist schwer. Ist sehr oft harte Arbeit. Es gibt Tage, an denen bin ich am Ende. Körperlich und psychisch. Dann helfen auch keine Filter auf Instagram oder Facebook mehr. Da trifft mich unser Alltag mit all unseren Einschränkungen, Traurigkeiten, Enttäuschungen und Verletzungen genau ins Herz. Ich glaube diese Momente kennt jeder. Ich frage mich in diesen Momenten sehr oft: Warum ich? Warum wir? Der Wunsch nach Normalität, einem geregelten Alltag, ist in diesen Momenten so groß, wie die Traurigkeit, dies nicht erleben zu dürfen.
Aber dann gibt es diese oder ähnliche Fotos. Momente. Augenblicke. Hinter diesen Fotos verbergen sich Geschichten. Es ist mehr als nur eine kurze Aufnahme. Es zeigt mir, wie sehr es sich lohnt, über den Tellerrand zu schauen und seine eigenen Erfahrungen zu machen. Seine eigene Geschichte zu erleben und zu leben! Sich nicht immer gleich verunsichern zu lassen, sondern seinen eigenen Gefühlen und Erfahrungen zu vertrauen. Sich zu trauen. Zu kämpfen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Das dies nicht einfach ist, weiß ich. Ich musste es im Laufe der Zeit lernen. Sehr oft bin ich dabei hingefallen und musste mich wieder aufraffen. Neuen Mut fassen und den Weg von vorne gehen. Viele Umwege habe ich genommen und nehme ich heute noch. Es ist ein Prozess – und das ist völlig okay.
Im Laufe der Zeit ist es mir ein so großes Anliegen geworden, zu schreiben. Vorurteile abzubauen. Aber auch die Realität zu beschreiben. Es wäre gelogen zu behaupten, dass ein behindertes Kind, nicht das eigene Leben komplett verändert (so wie gesunde Kinder es eben auch machen, aber anders). Ich hätte mir damals nie ausmalen können, kein gesundes Kind zu bekommen. Das Leben verändert sich von heute auf morgen. Manchmal mit einem Knall und manchmal verläuft es etwas schleppender. Bei mir war es der Knall.
Ich bin kein Gutmensch, noch laufe ich mit einem ständigen Dauergrinsen durch die Welt und erfreue mich jede Sekunde des Lebens. Gestern hätte ich diesen Beitrag nicht schreiben können. Denn gestern war kein guter Tag. Aber heute ist ein neuer Tag und der ist besser. Vielleicht sogar gut. Gute und schlechte Tage gehören zum Leben. Ich glaube die kennen wir alle. Trotz all dieser Kurven in meinem Leben, halte ich an den Wert des Lebens fest. Das Leben ist wertvoll und schön. Ich versuche immer mehr schwierige und belastende Situationen mit Humor zu begegnen. Und immer wieder zu schauen:
Wenn das nicht geht, was und wie geht es dann?
Alles geht irgendwie. Und wenn es nicht geht, geht es anders. Und das wichtigste ist: es lohnt sich. Immer.
Nach knapp 6 Jahren kann ich mit Gewissheit sagen, welche Aussagen nicht zutreffen. Alle.
„Seien sie nicht traurig. Ihr Sohn wird seine Liebe und Zuneigung nie zeigen können.“„Autisten können keine Liebe zulassen.„„Das Leben mit einem so schweren Herzfehler ist nicht lebenswert.“„Er wird nie sprechen können.“„Das Leben mit einer geistigen Behinderung ist nicht lebenswert.“
„Ihr Sohn ist kein Autist. Es liegt an ihnen.„