Morgen ist ein neuer Tag – ist das Lebensmotto von Cynthia und ihrer Familie. Cynthia ist 41 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bremen. Ihre Tochter Lily ist fast 4 Jahre alt und hat das Smith-Magenis-Syndrom (SMS). Der Gendefekt entsteht fast immer zufällig, ohne dass ein oder beide Elternteile Anlagenträger sind. Im Gegensatz zu anderen Betroffenen sieht man Lily ihre Behinderung nicht an. Lily hat einen Pflegegrad 4 und einen GdB (Grad der Behinderung) von 80 %. Ihre Kraft lädt Cynthia sich im Alltag immer wieder durch kleine Auszeiten auf.
Magst Du Dich und Deine Familie kurz vorstellen? Was ist bei Dir /Euch anders und unsichtbar?
Wir haben ein schwer behindertes Kind, welchem man die Behinderung nicht ansieht. Lily hat das Smith-Magenis-Syndrom, eine Deletion (Verlust eines mittleren Chromosomenstückes) am kurzen Arm von Chromosom 17. Ihre Symptome sind veränderter Tag-/Nachtrhythmus, herausforderndes Verhalten, selbstverletzendes Verhalten, entwicklungsverzögert, schwer kontrollierbare Wutausbrüche, Übergriffigkeiten, Lernschwierigkeiten und eine geistige Behinderung. SMS umfasst auch noch mehr oder minder schwere körperliche Behinderungen, von denen wir jedoch Gott sei Dank verschont geblieben sind. Wir stoßen oft auf Unverständnis und sehen uns unangebrachten Belehrungen ausgesetzt. Man bekommt auch schnell einen „Stempel „ aufgedrückt und lebt heute doch etwas isolierter als früher.
Wo und wie wird Deine/Eure unsichtbare Behinderung im Alltag sichtbar? Wie beeinflusst Dich/Euch die Behinderung im Alltag?
Unsere Tochter zeigt stark herausforderndes Verhalten und hat fast unkontrollierbare Wutanfälle mit verletzendem und selbstverletzendem Verhalten. Zu Hause ist dieses Verhalten gut zu händeln, in der Öffentlichkeit leider weniger. Sie konnte erst mit 19 Monaten feste Nahrung zu sich nehmen und hatte starke Probleme mit der Mundmotorik. Zudem ist sie erst mit zwei Jahren gelaufen. Ergo-, Logo- und Physiotherapie sowie Frühförderung gehören zu unserem wöchentlichen Programm. Außerdem kämpfen wir vermehrt mit starker Bronchitis und Mittelohrentzündung. Das sind auch Symptome der meisten SMS Menschen. Erschwerend bei Lily kommt hinzu, dass sie eigentlich nie Fieber hat. Wir mussten lernen, sie zu lesen und zu erahnen, wann sich z.B. die nächste Mittelohrentzündung ankündigt. Denn sie spürt auch keinen Schmerz am Kopf und nur vermindert in den Händen und Füßen.
Was war die blödeste Reaktion in Bezug auf Deine Behinderung, mit der Du je konfrontiert warst?
Behindert? Quatsch, man sieht ja gar nichts!
Was war Dein positivstes Erlebnis in Bezug auf Deine Behinderung im Alltag?
Wir haben ein gutes Netzwerk aus Therapeuten und ganz tolle Erzieher im Kindergarten, die sie genauso nehmen wie sie ist und super integriert haben.
Welche Reaktionen und Verhaltensweisen Deiner Mitmenschen würdest Du Dir wünschen?
Fragen statt glotzen oder zu verurteilen!
Hast Du einen Tipp, wie man mit doofen Situationen und unfreundlichen Menschen umgehen kann?
Humor hilft mir oft.
Würdest Du Dir wünschen, dass Deine Behinderung (Eure Behinderung) sichtbarer wäre? Wenn ja/nein, warum?
Nein. Ich glaube, dann wäre die Ausgrenzung noch größer.
Hattest Du schon einmal (unbegründete) Vorurteile einem anderen Menschen gegenüber? Wenn ja, warum?
Natürlich. Allerdings weniger wegen sichtbarer Behinderungen als wegen wirklich dummer Äußerungen.
Wie sieht für Dich eine ehrliche Begegnung aus?
Auf Augenhöhe.
Vielen lieben Dank liebe Cynthia für das ehrliche Interview!