“Ich kann nicht (gut) sprechen aber ich habe eine Stimme. Ich kann nicht “direkt“ antworten aber ich möchte gefragt werden. Ich kann Euch nicht immer angemessen begrüßen oder verabschieden aber ich möchte begrüßt und verabschiedet werden. Oft sitze ich abseits und erwecke den Eindruck, mich nicht zu interessieren aber ich bin auf meine Weise immer dabei. Ich möchte wahrgenommen und integriert und nicht übergangen werden.“
Heutzutage leben wir mehr und mehr in einer Welt, in der der Wert eines Menschen und sein Stellenwert in der Gesellschaft meistens nach seiner wirtschaftlichen Leistung bewertet wird. Sich in solch einer Gesellschaft zu behaupten ist schwierig für jemanden der „anscheint“ nichts zu sagen hat. Dabei hat Evan auch ohne Stimme so viel mitzuteilen. Man muss sich nur etwas mehr Zeit nehmen, einmal innehalten und wirklich hinhören. Evan kommuniziert auf so viele unterschiedliche Arten und Weise. Es sprudelt förmlich aus ihm heraus. Aber mir fällt immer mehr auf, dass dafür oft die Zeit und auch die Geduld fehlt. Oft werden Menschen, die nicht gleich als erstes laut aufschreien und sich behaupten können, nicht gehört. Manchmal auch übergangen und nicht ernst genommen. Das ist schade, da diese Menschen meistens so viel zu erzählen haben. Man muss nur richtig hinhören.
Ich denke darüber nach, wie es sein wird, wenn ich Evan nicht mehr auf meinen Schultern tragen kann. Er zu groß ist und ich zu schwach bin. Ich seine wundervolle Welt und die Brücken nicht mehr aufrechterhalten kann. Mein undurchdringliches Mutterschild langsam zu bröckeln beginnt – oder irgendwann gar nicht mehr da ist. Ich frage mich, welchen Platz wird mein kleiner Michel in so einer Welt haben?
Lieber Evan, ich wünsche ich Dir, dass Deine kleine unabhängige Seele in Ruhe und voller Vertrauen wachsen kann. Ich wünsche Dir, dass die Menschen Dich so nehmen wie Du bist und sich von Deiner einzigartigen und besonderen Art verzaubern lassen. Ich wünsche Dir, dass Deine Mitmenschen anstatt mir Dir zu reden andere Wege finden, um mit Dir zu kommunizieren und anstatt Dich zu isolieren, Abenteuer für Dich erschaffen. Ich wünsche Dir Menschen, die anstatt Dich zu bemitleiden, Dich respektieren und Dich achten und sich auf das konzentrieren was Du kannst. Ich wünsche Dir Menschen, die über den Tellerrand hinweg schauen und Dein Anderssein nicht als frech und ungehorsam, sondern als etwas Besonderes und Einzigartiges wahrnehmen und sich unendlich freuen und dankbar sind, so einen wundervollen und bezaubernden Menschen kennengelernt zu haben. Ich wünsche Dir eine Welt voller Liebe und Verständnis, eine Welt, in der Dir jemand ganz selbstverständlich eine Leiter reicht, damit Du wie die Anderen einen Apfel pflücken kannst. Eine Welt, in der es normal ist, verschieden zu sein. Zu guter Letzt wünsche ich Dir das Herz eines Löwen.
Deine Mama.