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Leben und leben lassen.

“Das Kind muss mindestens bis zur Vollendung des 1. Geburtstages gestillt werden. Besser ist natürlich bis zum Erreichen des 3. Geburtstages. In die Kita sollte das Kind gar nicht gehen. Auf jeden Fall nicht vor 2 Jahren. Am besten geht es erst mit 3 in den Kindergarten und dann auch nur bis 12 Uhr, denn das Essen zu Hause ist am besten. Wenn es nicht mindestens 12 Stunden am Tag mit der Mutter verbringt, wird das Kind mit aller höchster Wahrscheinlichkeit starke Verhaltensauffälligkeiten wie beißen oder zu hohes Singen in Form von sehr lauten Geräuschen aufweisen. Arbeiten? Das ist ja sowieso die Aufgabe des Mannes. Der versorgt die Familie. Wenn die Frau unbedingt will, kann sie 3 Stunden am Vormittag arbeiten. Solange das Kind im Kindergarten ist. Es gibt ja genug verständnisvolle und flexible Arbeitgeber. Als selbstverständlich gesehen, ist das tägliche Lüften – mindestens 1,5 Stunden – der Kinder in Form von Spaziergängen oder Spielplatzaufenthalten. Das mütterliche Handy ist bei dieser Aktivität natürlich streng verboten. Ablenkungen jeglicher Art müssen vermieden werden. Zudem sind die Handystrahlen hoch gefährlich. Mc Donald Besuche sind, das erklärt sich von alleine, nicht gestattet. Jeden Tag werden frisch gekochte Mahlzeiten mit natürlichen Inhaltsstoffen und Bioprodukten erwartet.  Sonnencremes werden nur in der Apotheke gekauft, da sie keine chemischen Inhaltsstoffe beinhalten. Das Kinderzimmer sollte nur mit Holzspielzeug und Biobaumalle ausgestattet sein. Fernseh-Berieselungen sämtlicher Art müssen vermieden werden, es sei denn sie fördern die kognitive Entwicklung des Kindes. Kleidung mit Kugelschreiber großen Flecken müssen sofort gewaschen werden. Ein tägliches Bad und die gründliche Reinigung der Kinder müssen gewährleistet sein. Zu kurze Hosenbeine können erste Anzeichen einer leichten Verwahrlosung sein. Die Mutter hat sich ganz und gar den Kindern und der Familie zu widmen und hat das Recht eines selbstbestimmten Lebens mit der Entscheidung Kinder zu haben, erstmal für die nächsten 18 Jahre abgegeben. Punkt.”

Ich sitze hier. Die Gesellschaft sitzt mir gegenüber. Ich habe Platz genommen auf der Anklagebank. So fühle ich mich des öfteren. Die aufgeführten Anschuldigungen und Behauptungen sind veraltet? Davon bin ich auch ausgegangen aber ich werde in letzter Zeit immer wieder und häufiger eines Besseren belert. Natürlich sind die oben aufgezählten Behauptungen übertrieben dargestellt aber, ob man es mir glauben mag oder nicht, sie sind mir alle schon zu Ohren gekommen. Jeder Mensch hat seine Ansichten und Einstellungen und das finde ich völlig normal und legitim. Was der Eine macht, muss der Andere nicht gut finden. Allerdings sollte der Respekt und die Akzeptanz füreinander da sein. Das Verständnis der Andersartigkeit. Ich erlebe es in letzter Zeit sehr oft, dass, ohne groß nachzudenken (und ungefragt), Ansichten in den Raum geworfen werden, die mich verletzten und ärgern. Aussagen wie: 

“Kinder sollten nicht in die Kita gehen”. “Die Mutter muss immer da sein”. “Man muss sein Leben hintenanstellen”. “Arbeiten und Karriere geht mit Kindern nicht”. “Du gehst zu Mc Donald?!!!”. “Du kaufst nicht nur Bio Produkte?!!!!”. “Du lässt Deine Kindern am Nachmittag betreuen?!”.

Alles Aussagen, die man mit einem Lachen oder einem Schulterzucken wegwischen kann, oder? Eigentlich schon. Eigentlich. Denn manchmal treffen sie mitten ins Herz. 4 oder 5 Wörter, die so eine große Bedeutung haben. Warum eigentlich? Ich weiß, dass ich mich nicht rechtfertigen muss. Darum geht es mir in erster Linie auch gar nicht. Es ist mein Leben. Aber es ärgert mich, dass in diesen Ansichten und Aussagen immer eine Wertung bzw. Abwertung stattfindet. Oftmals sind es die eigenen Lebensumstände, die unsere Entscheidungen im Leben prägen und mitgestalten. Wären die Umstände anders, vielleicht würde man andere Entscheidung treffen. Vielleicht ist man manchmal selber nicht glücklich über die Entscheidungen aber das Leben und die Umstände lassen es nicht anders zu. Umso mehr verletzen mich die leichtfertigen, mal eben schnell gesagten, Äußerungen. 

“Oh, das tut mir leid. Das wollte ich nicht, ich meinte ja nur mal eben…” – ich weiß, dass die meisten Aussagen nicht aus Böswilligkeit gesagt werden. Ich kann mich selber nicht freisprechen. Wie oft ertappe ich mich dabei, “mal eben so”, etwas zu sagen. “Mal eben so”, meine Meinung zu äußern ohne wirklich zu wissen, worum es eigentlich geht. Ohne das Leben der anderen Mitmenschen zu kennen. Seit Evan auf der Welt ist, bin ich vorsichtiger geworden. Vorsichtiger mit “mal eben” oder “nur mal eben” sagen. Denn ich weiß, wie sehr das “mal eben” verletzen kann.

Hätte ich früher ein Foto von mir auf der Anklagebank veröffentlicht, hätte ich in einem Kuhstall auf einer alten Bank mit gesenktem Blick und nicht gemachten Haaren gesessen. Heute sitze ich in einem Saal, in einem Mini Rock, mit roten Lippenstift und lache in die Kamera. Ich habe gelernt. Dazugelernt. Natürlich habe ich noch die stillen, traurigen, ärgerlichen, verzweifelten Momente im Kuhstall aber ich habe mein Leben und die Entscheidungen sowie äußeren Umstände, die mein Leben mit sich bringen, angenommen. Daher kann ich heute leichter mit „nur mal eben so“ Äußerungen umgehen.

Ich wünsche mir, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass man mit – vielleicht sogar – gut gemeinten Ratschlägen oder leichtfertigen Aussagen, sehr schnell Mitmenschen verletzten kann. Man muss zudem nicht immer seine Meinung äußern oder anderen Menschen diese aufdrängen. Es ist okay, diese für sich zu behalten. Ich bin mir sicher, dass wir alle in der Überzeugung leben, das Richtige für uns, unsere Kinder und unsere Familie zu tun.

In diesem Sinne: Leben und leben lassen. Punkt.  

 

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