„Du bist gut so wie Du bist“ ist das Lebensmotto von Heike. Heike ist 44 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann Maik und ihren Söhnen Hendrik (17) und Thies (7) in Ostfriesland. Hendrik hat ADS und ist Legastheniker. Thies ist auch ADSler mit einer hochgradigen Hyperakusis, eine Überempfindlichkeit der Hörorgane, und trägt Hörgeräte.
Magst Du Dich und Deine Familie kurz vorstellen? Was ist bei Dir /Euch anders und unsichtbar?
Zu unserer Familie gehören Hendrik (17) Thies (7) Maik und ich! Hendrik ist ADSler mit hyperaktiven Zügen. Eine Autismusdiagnostik haben wir nicht mehr gemacht, weil es ohne Konsequenzen für uns gewesen wäre. Des Weiteren ist Hendrik Legastheniker.
Thies hat auch ADS und zudem noch eine hochgradige Hyperakusis. Beide Kinder hatten (bzw Thies hat immer noch) depressive Tendenzen. Sie merken, dass sie anders sind als andere und das belastet sie. Hendrik hatte 5 Jahre Psychotherapie, die ihm sehr gut getan haben! Thies beginnt im Herbst mit seiner Therapie.
Wo und wie wird Deine/Eure unsichtbare Behinderung im Alltag sichtbar? Wie beeinflusst Dich/Euch die Behinderung im Alltag?
Was unser Familienleben von anderen unterscheidet? Hm, ich kann das gar nicht mehr so genau sagen, denn für uns ist es ja mittlerweile alles normal. Wenn ich ein paar Jahre zurückdenke, dann hat es mich immer gestört, dass wir nie spontan etwas unternehmen konnten. Alles musste streng strukturiert sein, ein gefasster Plan umgesetzt werden. Hendrik braucht durch das ADS eine ganz klare Struktur. Als sich diese Diagnose bei Thies auch heraus kristallisiert hat, waren wir schon vorbereitet und es hat uns nicht mehr aus den Socken gehauen. Dennoch ist es nicht immer leicht, denn wir müssen immer für unsere Kinder denken. Ich muss immer im Blick haben, wann es ihnen zu viel werden könnte. Beide können den Punkt zum Runterfahren selten selbst erkennen. Darum werde ich häufig als Helikoptermutter betitelt, was mich total nervt. Ich beschütze meine Kinder da, wo sie es selbst nicht können. Thies alleine mit dem Fahrrad zur Schule fahren lassen, würde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gut gehen, weil er so unkonzentriert fährt, dass es zu einem Unfall kommen würde. Wir sind ganz oft in Erklärungsnot. Gefühlte 1000 Mal musste ich die Legasthenie von Hendrik erklären. Nie ist sein Weg so realisierbar, wie es bei anderen der Fall sein kann. Ich muss erklären, dass er einen normalen Intelligenzquotienten hat aber trotzdem anders lernen muss als andere. In Bezug auf Thies muss ich erklären, was eine Hyperakusis ist. Ich sage immer, dass er einfach zu gut hört und ihm das meiste zu laut ist. Und auf die Frage warum er denn dann Hörgeräte trägt muss ich den Leuten erklären, dass sein Gehirn das gesprochene Wort nur schwer aufnehmen kann. Thies beeinträchtigt sein unsichtbares Anderssein von daher, dass er nicht alles machen kann, was andere Kinder machen. Kino zum Beispiel, Kindergeburtstage und vieles mehr! Aber wir sind auf einem guten Weg und vieles wird besser.
Uns als Eltern beeinträchtigt es uns oft, da unsere Kinder so gut wie nie still sind. Wenn sie nicht reden (was so gut wie nie vorkommt) dann hampeln sie herum. Und das macht uns manchmal echt fertig.
Was war die blödeste Reaktion in Bezug auf Deine Behinderung, mit der Du je konfrontiert warst?
Die blödeste Reaktion war, dass jemand, auf meine Erklärung warum Hendrik den sonderpädagogischen Förderbedarf bekommt, gesagt hat: „Eeeeeecht? Das hätte ich ja nie gedacht. Er wirkt ja so ganz normal!“
Was war Dein positivstes Erlebnis in Bezug auf Deine Behinderung im Alltag?
Das positivste Erlebnis was wir in Bezug auf die Legasthenie erlebt haben, war, dass Hendrik seinen Hauptschulabschluss geschafft hat, obwohl er laut Förderlehrerin und Schulleiter eigentlich noch nicht mal einen Förderschulabschluss bekommen sollte. Er wäre viel zu schlecht! Das hat uns motiviert ihnen zu zeigen wie falsch sie liegen würden. Unser persönlicher Rachefeldzug. Hendrik hat mit einer 1 in Mathematik die Schule verlassen! Ansonsten sind die schönsten Erlebnisse, dass man von Ärzten ernst genommen wird!
Welche Reaktionen und Verhaltensweisen Deiner Mitmenschen würdest Du Dir wünschen?
Ich finde es gut, wenn Menschen fragen, was bei unseren Kindern anders ist, sie sollen es aber bitte nicht anzweifeln. Vor allem nicht unsere Therapeuten, die wir uns mühsam zusammengesucht haben.
Hast Du einen Tipp, wie man mit doofen Situationen und unfreundlichen Menschen umgehen kann?
Nein, leider nicht. Ich bin selber auf der Suche nach einem Tipp.
Würdest Du Dir wünschen, dass Deine Behinderung (Eure Behinderung) sichtbarer wäre? Wenn ja/nein, warum?
Das ist eine sehr schwere Frage. Ich glaube manchmal, dass es leichter wäre, denn dann hätte „das Ganze“ wahrscheinlich eine Nummer bei der Kasse und wir müssten nicht für jedes Hilfsmittel kämpfen bzw so vieles selbst bezahlen.
Hattest Du schon einmal (unbegründete) Vorurteile einem anderen Menschen gegenüber? Wenn ja, warum?
Ja, solche Vorurteile habe ich mittlerweile. Denn ich vertraue fast niemandem mehr. Mir immer sagen zu lassen, (meistens hinter meinem Rücken) ich würde es ja schrecklich übertreiben und mich „wichtigmachen“ wollen, ist nicht schön und macht misstrauisch.
Woraus ziehst Du/Ihr Kraft? Was ist Deine/Eure Insel des Alltages?
Wir beziehen unsere Kraft daraus, dass sich der Kampf für die Kinder lohnt. Das Wissen, dass wir unseren Kindern den Weg bereiten müssen, damit sie im Leben zurechtkommen!
Wie sieht für Dich eine ehrliche Begegnung aus?
Offen auf uns zugehen und Fragen stellen und uns glauben, dass wir alles machen was möglich ist!
Vielen Dank liebe Heike für diese offene und ehrliche Begegnung!
Fotos © Heike