Machen Sie einmal Ihre Augen zu und stellen sich Folgendes vor (erst lesen und dann Augen zu machen): Sie sind in einem fremden Land. Sie sprechen weder die Sprache noch können Sie die Gesten und Mimiken der anderen Leute verstehen und deuten. Sie hören die Menschen sprechen, Sie hören Autos, Kindergeschrei, irgendwo bellt ein Hund. Stellen Sie sich vor, dass alles prasselt auf Sie ein, ohne, dass sie es direkt zuordnen oder filtern können. So ähnlich ergeht es meinem Sohn jeden Tag.
Einige meiner „Mütter -Freundinnen“ beschweren sich oft, dass ihre Kinder zu viel erzählen und sie ständig mit Fragen bombardieren. Evan spricht gar nicht und ich würde mir sehr wünschen, dass er mir Löcher in den Bauch fragt und mich mit Sätzen bombardiert und belagert. Wenn ich anderen Kindern und deren Eltern beim gemeinsamen Unterhalten zuschaue, werde ich jedes Mal ein wenig sentimental. Für viele ist das Selbstverständlich, für mich ist es etwas Einzigartiges und Faszinierendes: Verbale Kommunikation.
Kommunikation ist der Grundstein für jegliche Art von Beziehung. Wenn wir nicht kommunizieren können, können wir einander nicht verstehen und das führt zu Missverständnissen, Unzufriedenheit und Ärgernis.
Evan lautiert sehr viel und spricht manchmal auch einige Wörter nach, aber nur in der Imitation. Er versteht die Bedeutung nicht und daher vergisst er sie auch ganz schnell wieder. Er begreift nicht – noch nicht – die Notwendigkeit bzw. den Nutzen der Sprache. Wenn Evan und ich zusammen Musik machen und dabei singen, kann er manche Wörter mit Bewegungen und Gesten nachmachen (z.B. große Leute, kleine Leute). Allerdings benötigt das viel Übung und viele Wiederholungen. Wenn ich die gleichen Wörter außerhalb des Liedes anwende, versteht er sie nicht. Nur im Kontext des Liebes. Im Alltag ist das oft eine sehr belastende Situation, da Evan und ich sehr schwer – fast gar nicht – kommunizieren können. Oftmals entstehen dadurch Missverständnisse. Ich kann Evan nicht kurz erklären, dass wir heute als Ausnahme in die andere Richtung gehen, um zur Eisdiele zu kommen. Wenn er es verstehen würde, würde er ohne Probleme mitgehen – Evan liebt Eis! Allerdings kann ich ihm das nicht verständlich machen. Ich habe früher einige Bildkarten genutzt und ihm diese in bestimmten Situationen gezeigt. Zu Hause ist das praktisch, da die Karten immer vorhanden und griffbereit sind. Unterwegs ist das allerdings nicht so anwendbar, da ich die Karten im Alltagsstress oft vergessen habe. Zudem habe ich immer so viel Gepäck und Utensilien dabei, wenn Evan und ich unterwegs sind, dass mir die Bildkarten schnell lästig geworden sind.
Ich brauchte also eine Alternative!
Was hat man immer dabei? Seine Hände – die kann sogar ich im Alltagsstress nicht vergessen! Ich habe schon länger von GUK – Gebärden unterstütze Kommunikation von Etta Wilken – gehört. Dabei spricht man ganz normal mit dem Kind, unterstützt einige Wörter allerdings mit den GUK Gebärden. Am Anfang idealerweise nur bis zu 2 Gebärden in einem Satz, später kann man das beliebig steigern.
Ich habe mich vor einiger Zeit sehr motiviert zu einem Anfängerkurs angemeldet und GUK hat mich gleich überzeugt. Es sind ganz einfache Gebärden, die man sich schnell merken kann und gut im Alltag anwenden und integrieren kann. Ich habe nach meinem Kurs direkt begonnen mit Evan zu üben. Am Anfang war ich etwas „übermotiviert“ und bin „wild GUK gebärdend“ durch das Haus gelaufen. Ich glaube Evan hat sich gefragt was ich jetzt schon wieder für Sachen mache und was dieses merkwürdige Spiel zu bedeuten hat. Mit der Zeit habe ich allerdings ein Gefühl dafür bekommen und bin sensibel und mit etwas weniger Gebärden auf Evan eingegangen. Da Evan nur bedingt Blickkontakt zulässt, muss die Gebärde sehr schnell erfolgen. Meistens habe ich nur einen kurzen Moment seine Aufmerksamkeit. Evan hilft es, wenn ich zu der Gebärde noch den Gegenstand zeige. Mittlerweile kann er schon einige Gebärden, seine Lieblingsgebärden sind: Essen, Haben, Helfen und Fertig – wenn Evan die Gebärde Fertig zeigt, muss allerdings alles sofort (in diesem Moment) fertig sein, die Gebärde Warten kennt Evan noch nicht. Im Kindergarten und während seiner Therapien werden diese Gebärden unterstützend geübt. Ich habe mittlerweile einen weiteren GUK Kurs für Fortgeschrittene besucht und kann jetzt Kinderlieder und Geschichten mit GUK Gebärden begleiten.
Die GUK Karten sind sehr einfach gestaltet. Es gibt 3 verschiedene Arten von Karten: eine Gebärden Karte, das dazugehörige Bild und das geschriebene Wort. Somit kann man mit den Kindern in verschiedenen Schwierigkeitsstufen üben. Es gibt 2 verschiedene Sets mit insgesamt 200 Gebärden. Was ich an GUK sehr gut finde ist, dass man sehr flexibel mit den Gebärden umgehen kann. Für 4 verschiedene Wörter, die zu einer Wortgruppe gehören gibt es zum Beispiel nur eine Gebärde – wie zum Beispiel für den Überbegriff Musik (singen, Musik machen, musizieren, ein Instrument spielen). Bei GUK ist die Mimik und Gestik ebenfalls sehr wichtig. Zudem kann man Wörter wie zum Beispiel Schneemann einfach zusammen setzen: Schnee und Mann. Dieses kann man bei vielen zusammengesetzten Wörtern anwenden. Unterstützend habe ich mir zu dem GUK Set noch eine GUK App für mein Handy heruntergeladen. Diese kostet 11 Euro, ist ihr Geld aber definitiv wert. In kurzen und sehr anschaulichen Videos werden die Gebärden gezeigt. Das ist sehr praktisch für unterwegs.
Ich bin sehr froh, dass es mittlerweile so viele unterstützende Optionen gibt, die uns die tägliche Kommunikation vereinfachen wie die Lautsprache mit Gebärden oder mit Hilfsmitteln wie Bildtafeln oder Talkern. Rückblickend glaube ich allerdings, dass ich eine Zeitlang die Kommunikation zwischen mir und Evan „zu verbissen“ gesehen habe. Ich habe alles versucht damit er in die Sprache kommt und habe viel Geld für therapeutisches Spielzeug ausgegeben. Für mich war der Gedanke, dass Evan sich nicht ausdrücken kann sehr schwer zu ertragen. Dabei habe ich das Offensichtliche übesehen: Jeder Mensch hat ein natürliches Bedürfnis sich mitzuteilen und zu kommunizieren. Nur weil Evan eine Behinderung hat, heißt das nicht, dass er nichts zu sagen hat und dieses auf seine Art auch ganz klar macht und zeigt. Es ist egal wie viele Bücher oder therapeutisches Spielzeug ich kaufe, Evan bestimmt das Tempo. Und das ist in Ordnung! Evan entscheidet wie viel Anregung und Abwechslung er braucht. Ich kann ihm meine Hilfe und Unterstützung anbieten aber das Tempo bestimmt er.
Evan und ich sind mittlerweile ein eingespieltes Team geworden. Ich weiß – meistens zumindest – wenn er irgendein Laut von sich gibt was er möchte, mit den GUK Gebärden nun noch viel mehr. Einige Leute fragen mich oft: „Das hast Du jetzt verstanden?“ Ja, das habe ich!
Ich habe während Evans und meiner gemeinsamen Reise, etwas sehr wichtiges gelernt: Liebe kennt keine Sprache. Auch wenn Evan nicht Mama oder ich hab Dich lieb sagen kann, weiß ich genau, dass er mich liebt.
Eine Mutter versteht auch, was ein Kind nicht ausspricht. Jüdisches Sprichwort
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