Herzfehler
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Wenn das Leben für einen Moment stehen bleibt

Im Dezember 2010 ist mein Leben für einen Moment stehen geblieben und als es wieder zum Laufen gekommen ist war alles anders. Von Jetzt auf Gleich.

Ich kann mich noch sehr detailliert daran erinnern. Voller Vorfreude, Ende 6. Schwangerschaftsmonat, bin ich zur Untersuchung gegangen. Danach wollte ich Weihnachtsgeschenke einkaufen. Das in diesem Jahr Weihnachten für mich ausfallen würde und nichts mehr so sein würde wie es mal war, wusste ich bis dahin noch nicht. Ich war noch in meiner alten Welt, in der alles in Ordnung war.

Spätestens als der Arzt seine Kollegin geholt hat und beide sehr besorgt aussahen, habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Am Anfang dachte ich noch ganz naiv und optimistisch, dass es vielleicht nur ein 6. Finger sein wird oder das rechte Ohr vielleicht etwas zu groß ist. „Sie sollten darüber nachdenken, ihr Kind abzutreiben, da es nicht überlebensfähig sein wird“.  Zuerst habe ich gedacht, dass ich ihn nicht richtig verstanden habe, da wir uns auf Französisch unterhalten haben (ich habe zu der Zeit noch in Brüssel gelebt).  Aber ich habe ihn richtig verstanden. In diesem Moment ist mein Leben stehen geblieben. Mein Kind sollte nicht gesund sein? Ich habe nie nur den kleinsten Zweifel gehabt, dass mein Kind nicht gesund sein könnte. Alle bekommen gesunde Kinder. Du rauchst nicht, Du trinkst nicht und Du bist gesund und ernährst Dich auch so, das waren meine ersten Gedanken. Dein Kind kann einfach nicht schwer krank sein. Mittlerweile denke ich, dass das anmaßend war. Wie dankbar man doch sein kann, wenn man ein gesundes Kind bekommt.

Abtreibung. Mit diesem Rat habe ich die Arztpraxis verlassen und bin nach Hause gegangen. In meine Wohnung, in der das Kinderzimmer schon komplett eingerichtet war.  Der Arzt hat mir nur Bruchstücke mit auf dem Weg gegeben: Linke Herzhälfte, einige Fehlbildungen am Herzen, zu große rechte Herzkammer. Mit diesen Informationen habe ich mich an den Computer gesetzt und selbst im Internet recherchiert. Ich bin dann schnell auf HLHS gest0ßen. Nach einer Woche (7 Tage, 168 Stunden, 10080 Minuten) hatte ich dann endlich einen Termin bei einem Spezialisten und mein Verdacht wurde bestätigt. Hypoplastisches Linksherzsyndrom, kurz HLHS. Schlimmste Form, 5 % Überlebenschance. Mit dieser Diagnose und dem Rat zur Abtreibung habe ich das Krankenhaus verlassen.

Abtreibung. Das kam für mich nie in Frage. Ich habe nicht mal einen Moment daran gedacht. Es war für mich einfach unvorstellbar. Mit der endgültigen Diagnose habe ich mich dann wieder an den Computer gesetzt und nach Kliniken gesucht. Schnell bin ich auf Kiel gestoßen und habe mir dort einen Termin geben lassen. In Kiel wurde mir zum ersten Mal wieder Hoffnung und Mut gemacht. Die Diagnose wurde zwar bestätigt aber sie sei operierbar. Da ich in Brüssel gelebt habe und dort versichert war, musste ich einige organisatorische Dinge regeln, um die Behandlung in einem anderen Land, in Deutschland, zu erhalten. Als ich den Brief mit der Zusage der Behandlung erhalten habe, ist mir ein riesen Stein vom Herzen gefallen. Diese Dinge zu organisieren, das hat mir am Anfang sehr viel geholfen. Ich war ein wenig abgelenkt und musste funktionieren. Ich wusste, dass es kein einfacher Weg werden wird und einige Operationen auf uns zukommen aber Hoffnung besteht. Hoffnung. Das Wort habe ich in dieser Zeit zu schätzen gelernt.

Hoffnung hatte ich als ich die erste Ausstattung (Kleidung) und die erste Spieluhr für Evan gekauft habe, dass er sie anziehen und ihr zuhören kann und wird. Jeden Morgen bin ich mit der Hoffnung aufgestanden und abends wieder mit ihr ins Bett gegangen.

Wenn ich gefragt wurde: Junge oder Mädchen? Ach ist ja auch egal, Hauptsache gesund! Habe ich am Anfang sofort geweint. Irgendwann habe ich einfach nur noch genickt und mir meinen Teil gedacht. Schwanger zu sein und nicht zu wissen, ob man sein Kind je lebendig in den Armen halten kann, ist einfach unbeschreiblich. Man hat so viele Wünsche und Hoffnungen für sein Kind. Ich habe jeden Tag aufs Neue gehofft, gefleht und gebetet, dass Evan leben soll. Die Angst war neben der Hoffnung mein ständiger Begleiter.

Aber ich habe in der Zeit noch etwas gelernt: Demut. Demut vor dem Leben. Ich habe gelernt, dass es nicht selbstverständlich ist ein gesundes Kind zu bekommen und ich habe gelernt, dass nicht alle Eltern – so wie ich vorher angenommen habe – gesunde Kinder bekommen. Ich habe in der Zeit als Evan im Krankenhaus war lange im Ronald McDonald Haus Kiel gelebt und dort viele Eltern kennengelernt, die das gleiche Schicksal teilten wie ich. Das Ronald McDonald Haus wurde ein zu Hause auf Zeit und die Gespräche mit anderen Eltern haben mir Mut gemacht. Mut zu kämpfen.

Wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, würde ich alles nochmal genauso machen. Jeden Tag, wenn ich Evan anschaue und die Freude und seinen Lebensmut in seinen Augen sehe weiß ich, dass es sich gelohnt hat zu kämpfen. Evan macht seinen Namen alle Ehre: Kleiner tapferer Krieger.  

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben
(Hermann Hesse, Stufen).

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