Manchmal packt mich mein Enthusiasmus und ich reiße voller Elan das Ruder an mich. Egal ob es vorher schon etliche Male schiefgegangen ist und ich mir ganz überzeugend sage: Das mach ich nie wieder! Irgendwann probiere ich es doch wieder aus. Ganz nach dem Motto: Geht nicht, gibt’s nicht! Obwohl eine Sache mache ich wirklich nicht mehr – erstmal zumindest- und das sind Restaurantbesuche.
Brüssel – dort habe ich fast 7 Jahre gelebt. Aus dem einem Jahr, das ich ursprünglich bleiben wollte, sind 6 Weitere geworden. Brüssel ist eine tolle Stadt und hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Aber es war nicht nur die Stadt sondern auch die Menschen, die ich dort kennengelernt habe. Wundervolle Menschen, die zu wundervollen Freunden geworden sind. Diese tolle Stadt und Menschen wollte ich Evan nicht länger vorenthalten. Die Freunde hat Evan zum Glück schon vorher kennengelernt aber nie in Brüssel.
Bis ich mich entschlossen habe, Evan mitzunehmen, habe ich allerdings eine Weile gebraucht. „Du wirst nichts davon haben“, “ Das wird purer Stress“, „Fahr lieber alleine“ gut gemeinte Ratschläge, die mich allerdings nicht davon abhielten. Geht nicht, gibt’s nicht! Evan und ich fahren nach Brüssel!
Lieber in eine Ferienwohnung oder doch zu Freunden? Meine liebe Freundin hat sich nicht davon abbringen lassen – trotz meiner sehr ehrlichen Äußerungen & Vorahnungen – dass wir bei ihr übernachten sollen: „Das wird schon nicht so schlimm“ sagte sie ganz zuversichtlich. Ich habe nur im Stillen gedacht: „Wir werden sehen“.
An einem Freitag ging es dann endlich Richtung Brüssel. Das Auto bis zum Anschlag bepackt. Evan saß das erste Mal vorne neben mir. So kann ich ihn besser unter Kontrolle halten – habe ich gedacht. Nach ungefähr 15 Minuten wurde ich eines Besseren belehrt. Evan hat schnell gemerkt wie viel „Macht“ der Beifahrersitz doch ausübt und hat diese auch direkt an sich gerissen. Mein toller Kaffeehalter war schon kaputt, als wir den Hof verlassen haben.
Gefühlt mussten wir alle 10 Minuten Pausen machen. Als wir durch Holland gefahren sind, mussten wir ebenfalls einen Stopp machen. Evan und ich sind dann zusammen in ein nettes Autobahnlokal gegangen. Ich fand es erstaunlich wie positiv die Leute in Holland auf uns reagiert haben. Evan war direkt voll in seinem Element und hat die ganze Autobahnraststätte in Beschlag genommen. Ein riesengroßes Pappschild, das aussah wie eine Riesen-Gitarre musste zuerst dran glauben. Gleich bekommen wir richtig Ärger, ich habe mich innerlich schon darauf eingestellt. Aber anstatt uns zurecht zuweisen, lachten die Angestellten nur und sagten mir immer wieder auf holländisch wie süß Evan doch sei. Vielleicht kann ich hier einziehen?! Das waren meine ersten Gedanken. Diese Idee habe ich allerdings schnell wieder zerschlagen und die Reise ging weiter.
Nach 7 Stunden Fahrzeit sind wir dann endlich angekommen. Als allererstes habe ich das Wohnzimmer und unser Gästezimmer „evangerecht“umgestaltet. Das Haus besitzt mehrere Etagen und viele Treppen. Evan liebt Treppen. Besonders liebt er Gegenstände auf die Treppen zu werfen, vor allem runter zu werfen. Immer und immer wieder. Damit hat er auch sofort begonnen.
Eigentlich war ich die meiste Zeit – direkt nach dem Aufstehen bis zum „Ins Bett gehen“ – damit beschäftigt, Evan davon abzuhalten Gegenstände die Treppe runter zu werfen oder die Wohnung zu demolieren. Zudem war noch ein kleines Baby mit im Haus. Am Anfang lag er noch in seinem Laufstall. Nach ein paar Stunden hat meine Freundin ihn allerdings nur noch umher getragen.
Ich habe nicht nur einmal gedacht, dass meine Freunde uns gleich hinaus komplementieren. Ich habe meine Sachen schon vor dem Haus stehen sehen. Aber das ist nicht eingetreten. Wir sind Freitag angekommen und Montag – wie geplant – wieder abgereist.
Ich muss zugeben, dass es ein sehr anstrengendes Wochenende für mich und bestimmt auch für unsere Freunde war. Trotz der Anstrengung war es aber auch ein sehr schönes und erlebnisreiches Wochenende. Ich habe Evan meine ehemalige Wohnung gezeigt und das Quartier wo ich so lange gelebt habe. Ich bilde mir ein, dass es ihm gefallen hat, da er sehr interessiert aus dem Fenster geschaut hat.
Auch wenn dieses Wochenende mir sehr viel Kraft und Geduld abverlangt hat, bin ich unheimlich stolz, dass Evan und ich es so gut gemeistert haben. Manchmal brauche ich das Gefühl mit Evan „frei“ zu sein und auf reisen gehen zu können. Ich habe nach meinem Abitur mehr im Ausland gelebt als in Deutschland und wollte dieses Glück & diese Erlebnisse andere Länder zu bereisen und Kulturen kennen zulernen mit Evan teilen. Ganz so wie ich es mir vorgestellt habe, funktioniert es leider nicht. Aber ein bisschen italienisches Flair nach Holland zu holen klappt!
Eine Freundin von mir, die ebenfalls ein autistisches Kind hat, erzählte mir vor längerer Zeit, dass sich fast alle Freunde von ihr und ihrer Familie abgewandt haben. Ich habe nach dem Wochenende in Brüssel länger nichts von meiner Freundin und ihrem Mann gehört und habe mir – wenn ich ehrlich bin – Gedanken gemacht, ob unsere Freundschaft zu ihr und ihrem Mann unter unserem Besuch gelitten hat. Aber das hat sie nicht! Wir sind immer wieder willkommen – Evan und ich und dafür bin ich unendlich dankbar.
Ich habe wundervolle Freunde, in Brüssel, in Bremen, mittlerweile sind sie auf der ganzen Welt verstreut. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Wenn Evan etwas kaputt gemacht hat, helfen sie mir es wieder sauber zu machen. Wenn Evan weg rennt, sagen sie „Bleib sitzen, ich laufe hinterher“.
Auf der ganzen Welt gibt es keinen größeren Reichtum, keine größere Freude und kein kostbareres Geschenk als die Freundschaft.