Herzfehler
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Leben mit einem halben Herz

„Ihr Kind hat nur ein halbes Herz“ – eine nicht vorstellbare Diagnose, die die Welt stillstehen lässt. Eine Diagnose, die Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Trauer auslöst. Damals und auch immer (mal) wieder in der Zukunft.

Evan ist mit dem hypoplastischen Linksherzsyndrom (HLHS) zur Welt gekommen, der schwersten Form eines angeborenen Herzfehlers. In drei Operationen musste der lebensbedrohliche Schaden behoben werden. Normal entwickelt war nur seine rechte Herzkammer, die linke war viel zu klein und funktionsuntüchtig. Bei der ersten und risikoreichsten Operation war Evan genau 5 Tage alt. Die 2. Operation hat er mit 4 Monaten erhalten und der letze Eingriff wurde mit 2.5 Jahren vollzogen. Die letzte Operation, die sogenannte Fontan-Operation hat zum Ziel, den bisherigen gemeinsamen Kreislauf zu trennen, und dadurch die Sauerstoffunterversorgung zu beheben und die hohe Druckbelastung der Herzkammer zu reduzieren. Das gesamte venöse Blut fließt dabei der Lunge zu und Körperkreislauf sowie Lungenkreislauf sind völlig voneinander getrennt. Das sauerstoffarme „verbrauchte“ Blut wird nicht vom Herzen (wie bei einem gesunden Herzen üblich) in die Lunge gepumpt. Es fließt durch die obere und untere Hohlvene in die Lunge. Aufgrund dieser Belastungssituation kann es vorkommen, dass Evan ein bisschen blau um die Lippen aussieht und hin und wieder auch blaue Finger- und Fußnägel hat.

Die Diagnose verändert alles. Von heute auf morgen. Ich würde lügen, wenn ich schreiben würde, das war/ist alles halb so schlimm oder wie einige Leute immer wieder gerne sagen, „Das wird schon“ oder „Jetzt ist er aber doch wieder gesund“. Nein, Evan ist nicht gesund. Er lebt mit einem halben Herzen. Operiert heißt nicht geheilt. HLHS ist der schwerste angeborene Herzfehler. Für diese Diagnose gibt es in Deutschland keine Behandlungspflicht, sie erlaubt immer noch eine legale Abtreibung.

Mittlerweile gibt es ein Leben und eine Zukunft mit fehlender Herzkammer und Evan zeigt mir jeden Tag aufs Neue was für ein tolles und lebenswertes Leben das ist. Ich vergesse seinen Herzfehler sogar oft im Alltagsstress – was nicht allzu schwierig ist. Wenn man ihn beobachtet kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er so einen schweren Herzfehler hat. Evan ist eigentlich immer – außer er schläft – in Aktion. Im Grunde schläft er sich sogar aktiv in den Schlaf. Oft hat Evan rote Paustbäckchen, die viele Omas im Supermarkt dazu bewegen, zu betonen wie gesund Evan doch sei.

Trotzdem kommt sie oft wieder, die Angst. Wenn Evan nachts hustet, stehe ich schon halb im Bett und renne schnurstracks zu unserem – sehr gut gefüllten – Medikamentenschrank. Sofort wird der Wasserkocher angemacht und ich stelle das dampfende Wasser mit ein paar Tropfen Babix in sein Kinderzimmer. Wik Vaporub und andere Cremes dürfen natürlich auch nicht fehlen. Evans Kinderarzt belächelt diese Methoden liebevoll, da sie seiner Meinung nach gar nicht helfen. Mir gibt es aber ein gutes Gefühl, zumindest bin ich dann aktiv. In den meisten Fällen hat er sich dann sowieso nur verschluckt und sich kurz geräuspert.

Die Verbindung zwischen dem Herzfehler und Evans Autismuserkrankung ist für mich sehr schwierig. Da Evan sich nicht äußern kann, habe ich oft das Gefühl ihn ständig beobachten zu müssen um gegebenenfalls zu reagieren. Vor ein paar Wochen sah Evan sehr gräulich und blau aus, ich habe mich richtig erschrocken und bin in Gedanken schon die schlimmsten Szenarien durchgegangen. Dabei hat er sich nur mit Kreide das Gesicht verziert. Die Kreide habe ich dann sofort in den Müll geschmissen.

Wenn wieder ein Besuch beim Kinderkardiologen ansteht, fängt mein Gedanken Karussell automatisch an sich zu drehen. Während der Untersuchung fordert Evan zum Glück meine ganze Aufmerksamkeit, da ich ihm im Wechsel seinen Lolly, sein Kikaninchen, Gummibären oder seine Gitarre geben soll und dabei noch versuche die DVD von Rofl Zuckowski anzumachen. Zum Glück ist Evans Kinderkardiologin sehr nett und meistens endet die Untersuchung damit, dass wir alles zusammen „Ein Vogel wollte Hochzeit machen“ singen und Evan wild dazu klatscht und tanzt.

2015-10-15 20.28.49 (1)

Wenn mich heute jemand fragen würde, ob ich Evan zu genau den gleichen Bedingungen und auch mit dem Wissen welchen Weg wir gehen müssen und welche Reise Evan antreten müsste, bekommen würde, ich würde sofort JA rufen! Ich habe meine Entscheidung nie bereut und würde auch heute keinen anderen Weg gehen, als den vor knapp 4,5 Jahren.

Evan beeinflusst meine ganze Lebenseinstellung und zeigt mir, was wichtig ist und was nicht. Durch Evan habe ich gelernt im Regen zu tanzen und nicht ständig auf die Sonne zu warten.

Dafür danke ich ihm vom Herzen!

Menschen zu finden, die mit uns fühlen und empfinden, ist wohl das schönste Glück auf Erden.
(Carl Spitteler)

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