Es ist oft schwierig zu beschreiben wie Evans Autismus Erkrankung unseren Alltag bestimmt. Wenn ich Evan ansehe, sehe ich auch nicht die Erkrankung sondern ich sehe ein einzigartiges und besonderes Kind mit einzigartigen und sehr besonderen Bedürfnissen. Heutzutage ist es allerdings schwierig diese Bedürfnisse ausleben zu können. Ich bin mir darüber im Klaren, dass sich auch Evan an bestimmte Regeln halten muss. Ich versuche aber diese Regeln so weit es geht auszuweiten. Evan soll sich im Leben zurecht finden. Er soll und braucht aber nicht gesellschaftskonform sein. Der Autismus gehört zu ihm und zeichnet ihn aus. Er ist Teil seiner Persönlichkeit und diese möchte ich nicht verändern. In den Beispielen anbei versuche ich einen kleinen Einblick in unseren Alltag zu geben.
Evan liebt sein Gummibärchen und seine Kikaninchen. Meistens sind sie mit dabei, wenn wir das Haus verlassen. Manchmal muss aber auch noch das Bobbycar oder sein Laufrad mit, ansonsten können wir nicht losfahren. (Es gibt Tage, da können wir wirklich nicht losfahren, da ich Evan nicht überreden kann in seinen Kindersitz zu gehen). So ziehen wir dann von dannen. Das bedeutet, dass das Auto vor dem Einkauf eigentlich schon voll ist – ich habe einen Kleinwagen. Wenn der Rehabuggy dann auch noch im Kofferraum ist, sieht es schon fast so aus, als ob wir in den Urlaub fahren. Mittlerweile haben unsere Nachbarn verstanden, dass wir nur kurz einkaufen fahren und leider gleich wieder kommen.
Wenn Evan und ich einen Raum, den Supermarkt, ein Kaffee oder das Schwimmbad betreten wird es sehr laut und manchmal fühlt es sich so an, als ob wir alle Blicke auf uns ziehen. Zumindest dann, wenn Evan mal wieder etliche Weinflaschen bei Aldi zu Bruch bringt oder meine Rosen an der Kasse sorgfältig zerpflückt. Einer meiner vielen Strategien ist das Singen. Evan liebt Musik und daher habe ich das Gefühl, dass ihn mein Singen beruhigt. Zumindest höre ich ihn dann nicht mehr ganz so laut schreien und das beruhigt mich dann wiederum. Am Liebsten spielt Evan Gitarre – egal wo wir gerade sind. Er besaß schon weit mehr als 6 Holzgitarren. Da Evan aber ein richtiger Musiker ist, zerstört er seine Gitarren recht zügig. Allerdings ist schnell für Ersatz gesorgt. Denn Klobürsten (ungenutzt versteht sich), Haarbürsten, Pfannen, Fliegenklatschen etc. haben zum Glück alle die gleiche Form und können ebenfalls zu Gitarren umfunktioniert werden – mir ist früher gar nicht aufgefallen, was alles die Form einer Gitarre hat. Ich kann immer noch nicht fassen, dass viele Menschen wirklich glauben, dass ich meinen Sohn mit einer benutzen Klobürste spielen lasse!
Wenn ich mit Evan spiele, geht es meistens darum wie ich Gegenstände halte. Wenn wir Gitarre spielen, geht es eigentlich mehr darum, wie ich die Gitarre halte. Es muss immer genau identisch sein, ansonsten ist das Spiel vorbei; und das Spiel ist meistens sehr schnell vorbei. Klavier spielen Evan und ich auch sehr gerne. Allerdings darf ich immer nur das gleiche Lied spielen: Freude schöner Götterfunken. Das kann ich mittlerweile richtig gut. Sehr zum Leidwesen unserer Nachbarn. Wiederholungen und Reihenfolgen sind für Evan sehr wichtig. Egal ob wir zusammen rutschen, Trampolin springen oder mit seiner Kugelbahn spielen, die Reihenfolge & Wiederholungen sind nicht zu vernachlässigen.
Evan hat eine Vorliebe für alles was sich dreht. Auto- oder Fahrradräder, die Räder eines Einkaufswagens. Am Meisten aber liebt Evan Waschmaschinen. Diese schafft es sogar, dass Evan mal für gute 30 Minuten bei ihr sitzt und ihr beim Waschen zuschaut oder einfach selber wäscht, indem er fleißig und hochkonzentriert die Trommel dreht, in einer bestimmten Reihenfolge versteht sich.
Wenn wir in unser Lieblingskaufhaus gehen, fährt Evan am Liebsten Rolltreppe. Eigentlich fahren wir nur Rolltreppe, wenn wir in unser Lieblingskaufhaus gehen.
Evan liebt Schokolade und Süßigkeiten, egal auf welchen Tellern sie sind. Diese Tatsache und das Evan leider nicht länger als genau 5 Sekunden sitzen bleibt, sind die Gründe warum Restaurantbesuche bei uns immer sehr kurz sind. Mittlerweile ist unsere Auswahl an Kaffees oder Restaurants sehr geschrumpft. Eigentlich gehen wir nur noch zu McDonald, und dort fahren wir durch.
Evan und ich haben einen Lieblingswald, wo wir sehr gerne spazieren gehen oder Evan Laufrad fährt. Leider dürfen wir immer nur den gleichen Weg gehen. Seit knapp 2 Jahren.
Evan schwimmt sehr gerne. Er liebt Wasser. Egal welches, ob See, Fluss, Pfütze, Teich oder Regentonnen. Wenn er Wasser sieht, will er hineingehen. Leider lassen Evan meine Argumente, nicht in jedes Gewässer zu jeder Jahreszeit gehen zu können, kalt. Ich habe ihn schon aus etlichen Teichen oder Regentonnen holen müssen.
Mit Vorliebe schmeißt Evan Gegenstände in die Luft oder auch von der Treppe, ganz egal wo wir sind. Am Liebsten mag er zerbrechliche Gegenstände, da diese so schön laut sind, wenn sie den Boden berühren. Meine Heißklebepistole ist mittlerweile mein bester Freund zu Hause geworden. Ich glaube es gibt fast keinen Deko-Gegenstand mehr, der nicht geklebt wurden ist und das sieht man ihnen leider auch an. Neuerdings hat er auch das Autofenster für sich entdeckt. Nachdem Evan auf der Autobahn angefangen hatte, Gegenstände aus dem Fenster zu werfen, habe ich sehr schnell erkannt, dass ich meine Fensterkurbel abbauen muss. Evans Spitzname ist übrigens Bam Bam (der kommt aus der Serie Familie Feuerstein & hat auch immer gerne viel Lärm und Krach gemacht).
Evan ist, was seine Freunde betrifft, nicht gerade zimperlich. Meistens laufen sie vor ihm weg. Leider mag Evan dieses Spiel und freut sich, wenn sie schreien.
Evan imitiert sehr gerne und sehr viel, aber leider auch sehr genau. Den Nachbarsjungen sowie den Nachbarshund inklusive Beinchen heben und aus der Pfütze trinken. Nein, das erlaube ich ihm natürlich nicht. Allerdings lässt sich Evan sehr ungern etwas verbieten.
Evans Lieblingsgebärde ist fertig. Evan ist allerdings der festen Überzeugung, dass wenn er diese Gebärde benutzt, auch wirklich gleich – sofort – alles fertig sein muss. Die Gebärde Warten kennt er noch nicht.
Anstehen und Warten existieren in Evans Welt nicht. Eine Warteschlange ignoriert Evan gekonnt und am Liebsten würde er in das schon laufende Fahrgeschäft springen. Viele Leuten finden das süß und viele Leute finden das blöd. Ich treffe meistens auf Letztere.
In unserem letzten Italien Urlaub habe ich die Eltern beneidet, die auf ihren Liegen lagen und in Ruhe ein Buch gelesen haben, während ihre Kinder vor ihnen spielten. Ich war diejenige, die hinter ihrem Sohn hergelaufen ist und die Schuhe und Handtücher fremder Urlauber aus dem Pool gefischt hat. Das ist nämlich neben – Gegenstände, die Treppe runter schmeißen – auch eine seiner Lieblingsbeschäftigungen.
Ich könnte jetzt noch einige Situationen erzählen oder Beispiele für unseren ganz normalen Wahnsinn nennen… Natürlich geht es mir oft nicht gut, wenn ich in einer dieser Situationen bin. Ich bin kaputt, müde und manchmal auch einfach nur genervt und traurig. Aber so anstrengend und skurril unser Leben & Alltag auch ist, es ist unser Leben. Und ich mag unser Leben und ich liebe meinen Sohn und seine Art, Dinge zu betrachten und wahrzunehmen.
Ein behindertes Kind ist wie ein krummer Baum. Du kannst ihn nicht gerade biegen, aber du kannst ihm helfen Früchte zu tragen.
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